Das Geheimnis der Puppe
noch ein paar Abstriche mehr in Kauf nehmen. Zum Verkauf steht das Ganze für zwo-acht.«
»Das ist ja weniger als die Hälft.«, sagte Laura mit merklicher Erschütterung in der Stimme. Ich fand, der Preis war gegenüber dem vorgenannten geradezu lächerlich.
»Und wo ist der Haken?« fragte ich deshalb.
»Es gibt keinen Haken«, erklärte Dressler jetzt plötzlich sehr ernst.
»Fahren Sie hin, schauen Sie sich das Haus in aller Ruhe an. Sie werden zufrieden sein.«
Wir vereinbarten einen Termin für den nächsten Vormittag, brachten Danny zeitig in den Kindergarten, fuhren los. Laura war so aufgeregt. Die halbe Nacht hatte sie irgendwelche Pläne gemacht. Acht Zimmer!
»Stell dir nur vor, Tom.«
Ich nahm die Autobahn. Bis zu Dresslers Büro brauchte ich eine knappe Stunde. Frau Dressler stieg zu uns in den Wagen. Es ging weiter über schmale Landstraßen, daneben kleine und winzige Ortschaften. Kirchtroisdorf, Kleintroisdorf, Pütz. Ein einsam liegendes Gehöft gegenüber einer Abzweigung.
»Biegen Sie hier mal rechts an«, sagte Frau Dressler.
»Das ist ein kleiner Umweg. Aber wir fahren von der anderen Seite rein, da sehen Sie gleich was vom Dorf.«
Hinter Pütz noch ein Dorf, Kirchherten. Schmale Straßen, die Häuser so eng aneinander gereiht, als fürchteten sie sich. Eine winzige Grünfläche mit zwei dürftigen Sträuchern darauf und einer einzigen Bank am Rand.
»Links runter«, sagte Frau Dressler. »Immer nur der Hauptstraße nach.«
Der nächste Ort schloß sich gleich an. Grottenherten. Angeblich fuhren wir immer noch auf der Hauptstraße. Die Häuser wurden spärlicher, wieder ein Bauernhof, noch ein Stück Straße. Frau Dressler zeigte noch vorne.
»Das ist es.«
Das war es! Es lag einsam. Der Bauernhof, unser nächster Nachbar, war gut fünfhundert Meter entfernt. Und zur anderen Seite hin gab es nur noch Felder. Weit hinten eine Windmühle und so viel Grün, ein herrlicher Anblick. Aber was schwerer als alles andere wog: Es war das Haus, nach dem ich seit Wochen suchte, meine Filmkulisse. Es gab keine Hecke, keinen Zaun. Ich hielt den Wagen am Straßenrand. Frau Dressler griff nach ihren Unterlagen und stieg sofort aus. Sie blieb neben dem Wagen stehen und schaute auffordernd zu uns herein. Aber wir blieben erst einmal sitzen und ließen das Bild auf uns wirken. Von der Straße aus führte eine kiesbestreute Auffahrt direkt auf das Haus zu. Daneben verlief ein Plattenweg zur Haustür. Zum Haus hin stieg der Boden leicht an, dahinter fiel er stark ab. Auch die vorderen Kellerfenster lagen noch über der Erde. Von einem Hügel konnte man zwar nicht sprechen, aber ein guter Regisseur, eine entsprechende Kameraführung, der Rest stimmte in jedem Fall. Es war gewaltig. Von den Jahren ergrauter, dunkler Verputz, Sprossenfenster in gebeizten Holzrahmen.
»Es sieht ein bißchen verwittert aus«, fand Frau Dressler.
»Sie müssen es sich mit einem neuen Fassadenputz vorstellen, schneeweiß.«
»Nei.«, widersprach ich rasch, und Laura begann zu grinsen.
»Nein, so ist es genau richtig.«
Zu beiden Seiten der Auffahrt stand eine Menge Gebüsch auf dem Rasen, drei hohe Bäume vor dem Haus, dahinter noch mehr. Einige der Kronen überragten das schwärzliche Ziegeldach. Meine Phantasie lief dem Sommer davon, tauchte, ohne daß ich etwas dagegen tun konnte, tief in die erste Filmszene. Ein Herbst, nein, ein Winter. Ein Winter ohne Schnee, wie er hier so häufig ist. Statt dessen Nebel, Dunst, kahles, tropfenbehangenes Gezweig, sturmgebeutelte Baumwipfel, frühe Dunkelheit. Eine winzige Lampe neben dem Hauseingang wirft gespenstisch flackerndes Licht in die Nacht. Die blutjunge Sandy nähert sich zögernd der Haustür. Sie weiß nur eines, in diesem Haus hat Cheryl, die sie immer für ihre Mutter hielt, als junges Mädchen gearbeitet. Das ging aus Tagebuchaufzeichnungen hervor. Aus diesem Tagebuch weiß Sandy auch, daß in diesem Haus mit ihrer leiblichen Mutter etwas Entsetzliches geschehen ist. Mehr noch, in diesem Haus liegt der Ursprung ihrer eigenen, absonderlichen Existenz. Und all das Wissen steht ihr im Gesicht geschrieben. Und wie immer, wenn Sandy aufgeregt ist, hat sie ihre Gesichtszüge und Körperformen nicht völlig unter Kontrolle. Die Wangenmuskeln zucken, dehnen sich aus, fallen ganz in sich zusammen, verschwinden fast. Darunter zeichnet sich deutlich der Knochenbau des Kiefers ab. Und das vor diesem Hintergrund. Ich seufzte unwillkürlich. Wolfgang würde zufrieden sein,
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