Das Geheimnis der Puppe
verstehen gegeben, daß sie notfalls alleine hierbleibt. Sie hat hier die Erklärung für ihre entsetzliche Kindheit gefunden. Und selbst wenn ich wollte, nach allem, was wir im letzten halben Jahr durchgestanden haben, könnte auch ich nicht mehr weggehen. Gleich nach dem Gespräch mit Andreas Steiner fuhren wir zu meinen Eltern und feierten den Erfolg. Danny spielte im Garten. Vom Fenster aus beobachtete Laura ihn und diskutierte dabei mit Mutter die Vorzüge des Landlebens. Mit einem Ohr hörte ich ihnen zu. Ich erinnerte mich plötzlich an meine Kindheit, an die Küchentür zum Garten. Während des ganzen Sommers stand sie offen. Ich war nie bei der Hand genommen und auf einen Spielplatz geführt worden wie Danny. Ich war einfach hinausgelaufen, konnte kommen und gehen, wann ich wollte, und nicht nur in den Garten. Da war der Bach, etwa hundert Meter von unserem Grundstück entfernt. An seiner Uferböschung ließ sich eine Menge Getier beobachten und einsammeln. Fünf oder sechs Freunde waren wir gewesen, und einer von uns kam immer mit nassem Hinterteil heim. Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit. Mit allem, was dazu gehörte. Jede Menge Dreck und Wasser, Hecken zum Hineinsteigen, eingezäunte Weiden, ein paar Dutzend friedlich darauf grasender Kühe, unsere Büffelherden. Danny tat mir plötzlich leid. Das Stadtkind, eingepfercht zwischen Beton und Fußgängerüberwegen. Sonntags ein Ausflug in den Stadtwald oder ein Besuch bei den Großeltern.
»Du könntest dir einen kleinen Gemüsegarten anlege.«, sagte Mutter zu Laura. Ja, das vielleicht auch, aber vordringlich eine Sandkiste für Danny und ein kleines Regenfaß und eine offene Tür zum Garten. Eine weitere Woche lang schwelgten wir in Zukunftsträumen. Dressler schickte uns den Mietvertrag in doppelter Ausfertigung. Beide Exemplare waren bereits von ihm, als Stellvertreter der Steiners, unterschrieben. Wir unterschrieben ebenfalls und schickten ihm ein Exemplar zurück. Zwei Tage später konnten wir uns die Schlüssel bei ihm abholen. Auch in dem Punkt kam man uns entgegen. Offiziell gemietet hatten wir das Haus ab dem. Juli. Es stand uns jedoch bereits ab dem. Mai zur Verfügung.
»Sie wollen doch sicher vor Ihrem Einzug renoviere.«, meinte Dressler. Mit den Schlüsseln überreichte er uns auch eine Liste des noch vorhandenen Inventars, welches wir nun quasi für ein Jahr in Verwahrung nahmen, ehe wir frei darüber verfügen konnten. Natürlich fuhren wir von Dresslers Büro aus sofort hin. Die Holzkisten und die Möbel aus dem linken, hinteren Schlafzimmer waren in der Zwischenzeit abgeholt worden, aber sonst war alles unverändert. Wie Kinder schlichen wir durch die einzelnen Räume im Erdgeschoß, dann die Treppe hinauf. Die beiden hinteren Zimmer waren bereits verplant. Das rechte sollte unser Schlafzimmer werden. In dem linken wollte ich mein Arbeitszimmer einrichten. Den Schreibtisch vor eines der Fenster stellen, mit Blick über diesen herrlichen Garten, den ich gar nicht ganz überschauen konnte. Dann nahmen wir uns den Dachboden vor. Es gab elektrisches Licht, fünf relativ starke Glühbirnen insgesamt, die gleichzeitig aufflammten, als ich den Schalter drückte. Helligkeit bis in den allerletzten Winkel. Die dicke Isolierschicht zwischen den Dachbalken glitzerte. Ich drückte den Schalter gleich noch einmal, die Glühbirnen erloschen, und wir stöberten eine Weile im Zwielicht herum. Etwas Aufregendes gab es jedoch nicht zu entdecken. Auch hier schien jemand vor der Schlüsselübergabe noch ausgeräumt zu haben. Das Gerümpel aus der Ecke war verschwunden. Aber einige Sachen waren zurückgeblieben. Abgesehen von dem Schaukelpferd vor dem Kamin, gab es eine Holzeisenbahn, sauber verpackt in einem angestaubten Karton, eine Ritterburg mit sämtlichem Zubehör und diverse andere Dinge, die man eindeutig Steiners Söhnen zuordnen konnte. Laura nötigte mich, das Licht wieder einzuschalten. Sie entdeckte weitere Kartons, allesamt mit einer dicken Staubschicht überzogen, ordentlich geschlossen und mit Kordel verschnürt. Natürlich wurden sie umgehend geöffnet. Sie fand einen Packen Notenblätter, die meisten davon mit der Hand geschrieben. In anderen Kartons fanden sich Rechnungen, zurückreichend bis in das Jahr. Unter dem Hefter lag ein Bündel Reichsmark. Dann entdeckte Laura eine Anzahl merkwürdiger Schnipsel, die ich als die Reste einer Lebensmittelkarte identifizierte. Für Laura war es erregend, dermaßen in einer Zeit zu schnüffeln, die
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