Das Geheimnis der Puppe
entfernte die Klinke auf seiner Seite. Und der Eingang wurde wieder geschlossen. Als dann der erste, wuchtige Hammerschlag gegen die Mauer dröhnte, begann das Kind aus Furcht und Entsetzen leise zu wimmern. Laura starrte die Klappe mit zusammengekniffenen Augen an.
»Ach, du meine Güte«, sagte sie und fummelte an dem Schloß herum.
»Das ist aber neu. Warum haben sie das denn zugemacht? Das ist ja schlimmer, als wenn sie da drin einen Tresor untergebracht hätten.«
Dann drängte sie mich:»Mach mal auf! Ich will wissen, was sie da reingetan haben.«
Dressler hatte uns einen umfangreichen Schlüsselbund ausgehändigt. Doch unter all den Schlüsseln war keiner, der zu dem Vorhängeschloß paßte. Ich probierte sie der Reihe nach aus, und Laura wurde zusehends nervös.
»Gib mal her.«
Sie stampfte sogar mit dem Fuß auf, als sie mir den Schlüsselbund aus der Hand riß. Als sie dann mit ihrer Probiererei die gleiche Erfahrung machte wie ich zuvor schon, wurde sie vollends unausstehlich.
»Das kommt weg.« fauchte sie mich an und pochte dabei mit den Fingerknöcheln gegen die Eisenklappe.
»Das will ich hier nicht haben. Hier wird nichts abgesperrt. Ich will wissen, was unter meiner Treppe ist.«
»Noch ist es nicht deine Trepp.«, sagte ich, um einen halbwegs scherzhaften Ton bemüht, der mir jedoch nicht ganz gelang. Ich legte ihr einen Arm um die Schultern, versuchte sie von der Mauer wegzuziehen.
»Und darunter ist nur ein finsteres Loch«, erklärte ich. Kaum ausgesprochen, erinnerte ich mich an den stockdunklen Winkel unter der Kellertreppe im Haus meiner Eltern. An die Beklemmung, die ich jedesmal empfunden hatte, wenn ich spätabends noch etwas aus dem Keller holen sollte und daran vorbeigehen mußte. An die Vorstellung, daß es von diesem Winkel aus eine direkte Verbindung zu den mysteriösen, unterirdischen Gängen gab. Es hatte mich entsetzlich gegraust, und nie hatte ich es gewagt, einmal mit einer Taschenlampe in diesen Winkel zu leuchten. Vater stapelte das Kaminholz darin. Und wenn das zum Frühjahr hin weniger und weniger wurde, war ich fest überzeugt, daß eines Tages eine Hand aus dem Dunkel nach mir greifen würde, um mich hinabzuzerren in die ewige Finsternis. Nur einmal war ich freiwillig in dieses Loch gekrochen. Eben jene Episode, die meine Mutter anläßlich unserer Hochzeit so bereitwillig zum besten gegeben hatte. Das Vorhängeschloß und der starke Riegel machten die Nische interessant, die Klappe und die Mauer wiederum machten sie mir sympathisch. Aber es war nur einer meiner üblichen Scherze, es war nur ein Versuch, Laura auf andere Gedanken zu bringen, als ich sagte:»Steiner hat seine Frau hier gefangengehalten. Deshalb hat man sie nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Und jetzt haben seine Söhne das böse Werk vollendet. Klappe zu, Mutter tot.«
Laura lächelte dünn, klopfte noch einmal mit den Fingerknöcheln gegen das dünne Eisen. Es gab einen dumpfen Ton. Sie horchte ihm nach, schaute mich geistesabwesend dabei an.
»Du hast auch bloß deine verdammten Geschichten im Kopf. Du willst doch nicht etwa so was schreiben.«
Ganz neue Töne, und im ersten Augenblick zuckte ich doch ein wenig zusammen. Ich tat so, als hätte ich das »verdammte.«nicht gehört, hob theatralisch die Schultern.
»Zugegeben, es ist primitiv, eigentlich müßte mir zu diesem Haus eine bessere Story einfallen. Aber vielleicht kommt die noch.«
»Ein Spukhaus hattest du scho.«, sagte Laura und schüttelte verächtlich den Kopf.
»Da würden die Leute denken, dem geht der Stoff aus.«
Ich nahm sie in die Arme, drückte sie an mich. Es war einer von den Augenblicken, in denen mir besonders deutlich wurde, wie sehr ich sie liebte und wie hilflos ich doch im Grunde war. Nach ein paar Sekunden lehnte Laura den Kopf gegen meine Schulter.
»Tut mir leid«, murmelte sie.
»Ich wollte nicht gemein werden. Aber abgesperrte Türen machen mich wahnsinnig.«
»Das ist keine Tür«, sagte ich. Und Laura starrte die Klappe an und atmete tief durch.
»Man schleppt halt an seinem Kreu.«, erklärte sie vage. Dann legte sie mir einen Arm um die Hüfte.
»Bring mich hier weg, Tom.«
Laura fieberte dem Augenblick entgegen, ihren Eltern die frohe Botschaft zu überbringen. Die waren am. April nach Spanien geflogen. Sechs Wochen wollten sie bleiben. Eine Anschrift für den Notfall hatte Bert uns nicht hinterlassen. Er hatte für diesen Urlaub ein richtiges Programm ausgearbeitet. Zuerst Madrid,
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