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Das Geheimnis der Puppe

Das Geheimnis der Puppe

Titel: Das Geheimnis der Puppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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die Kamera langsam über blutbesudeltes Bettzeug zu den leicht gespreizten Beinen schwenken. Und zwischen diesen Beinen der Fleischklumpen. Und den hatte ich für mein Empfinden schon zur Genüge eingesetzt. Hinzu kam, daß ich statt der Romanfigur auf dem schmuddeligen Bettzeug unentwegt Marianne vor Augen hatte. Eine schreiende, sich windende, mit allen Mitteln gegen die Wehen ankämpfende Marianne. Und ein kleines, hilfloses Bündel, das schließlich mit einem Schnitt auf die Welt gebracht werden mußte, das jetzt im Keller hockte und nicht weinen konnte. Das all sein Elend in sich hineinfraß, nur gelegentlich einmal um sich schlug und dann regelmäßig die Falschen traf. Kein Mensch kann sich auf seine Arbeit konzentrieren, wenn seine Gedanken sich ständig auf Abwegen befinden. Ich versuchte es gewaltsam, rief mir die Einstiegszene ins Gedächtnis. Das Haus, aus der Perspektive eines Betrachters, der sich vom Garten aus nähert. Mit den Augen fuhr ich die Strecke ab. Da sah ich es dann: ein etwa dreijähriges Mädchen mit dunklen, schulterlangen, glatten Haaren, einem erschreckend blassen Gesichtchen, das zu allem Überfluß noch einen stumpfsinnigen Ausdruck trug. Mir drängte sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß dieses Kind geistig behindert sein mußte. Es trug ein grün-weiß kariertes Kleid mit langen Ärmeln. Und das bei dieser Hitze. Die Taille war sehr hoch angesetzt, an den Seiten gab es zwei Bänder, die im Rücken zu einer Schleife gebunden waren. Nein, merkwürdig war daran überhaupt nichts. Mit Ausnahme des Kleidchens vielleicht. Es kam mir sehr unmodern vor. Altmodisch, sagt man hier. Und soweit ich vom Fenster aus erkennen konnte, war es keinesfalls aus einem dieser leichten, sommerlichen Stoffe gefertigt. Dazu trug das Kind dicke Wollstrümpfe und feste Halbschuhe. Ich fragte mich unwillkürlich, wer seinem Kind so etwas antun konnte. Danny war in den letzten Tagen nur noch in Shorts, T-Shirt und Sandalen herumgelaufen. Man schwitzte doch schon beim Nichtstun. Nach ein paar Sekunden setzte die Erinnerung ein. Es war das gleiche Kleid. Ich hatte dieses Kind bereits einmal im Garten gesehen, am Tag der Hausbesichtigung. Und unser nächster Nachbar war gute fünfhundert Meter entfernt. Im gleichen Augenblick kam die Wut. Wir hatten seit unserem Einzug kaum einen Dorfbewohner zu Gesicht bekommen, gewiß keine Kinder. Ich war mir ziemlich sicher, wen ich da vor mir hatte. Unseren kleinen Gast. Das Kind stand ziemlich nahe beim Haus. Im Sitzen konnte ich es gerade noch sehen. Es stand völlig unbeweglich. Wie eine Statue, die man in einen Park gestellt hat. Das Gesicht der Hausecke zugedreht. Ich richtete mich hinter dem Schreibtisch ein wenig auf, um es besser sehen zu können. Da sprang das Kind ganz unvermittelt los. Zuerst tat es einen unbeholfenen Satz in die Luft, dann rannte es vorwärts, auf die ersten Büsche zu. Aber es war mehr ein Stolpern, es schien sehr unsicher auf seinen Beinen. Als es die Büsche erreichte, blieb es stehen. Und es stand wieder genau so reglos wie zuvor. Ein paar Minuten vergingen. Ich hatte das Fenster weit geöffnet, hörte die Vögel im Garten, das Schaben an den Wänden unter mir. Das Kind kam langsam zurück auf das Haus zu, und irgend etwas fehlte. Ich brauchte einen Augenblick, bis mir klar wurde, was ich vermißte. Die Stimme. Wenn Danny sich draußen aufhielt, hörte man ihn fast immer. Aber das kleine Mädchen gab keinen Laut von sich. Ob es stumm war? Jetzt stand es wieder auf dem gleichen Fleck wie vorhin, als ich es zuerst bemerkte. Ich beugte mich über den Schreibtisch vor. Da hörte ich aus dem Erdgeschoß ein dumpfes Poltern. Dem Poltern folgte ein lautstarker Fluch, den Rudolf ausstieß. Für einen Augenblick war meine Aufmerksamkeit abgelenkt. Ich drehte mich unwillkürlich nach hinten, zur offenen Tür hin. Als ich wieder hinausschaute, war das Kind weg. Es ließ mir keine Ruhe. Ich ging hinunter, warf zuerst einen kurzen Blick ins Eßzimmer. Die Trennwand war völlig zur Seite geschoben. Der schwere Eßtisch stand in der Mitte des Raumes, die Stühle, mit der Sitzfläche nach unten, waren auf der Tischplatte verteilt. Als ich bei der Tür auftauchte, schaute Rudolf sich verlegen zu mir um.
    »Tut mir leid, wenn ich Sie gestört habe. Einer der Stühle ist umgekippt, ist aber nichts passiert.«

    »Mich haben Sie nicht gestört«, erwiderte ich.
    »Aber da war gerade ein kleines Mädchen im Garten. Das haben Sie tüchtig erschreckt.«
    Heinz

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