Das Geheimnis der Rose
Wahl getroffen. Sie …«
Ein Schatten legte sich über Edwards Gesicht, und er schien nicht weitersprechen zu wollen. Er hatte jedoch bereits zu viel erzählt. Nachdem er einmal so weit gekommen war, würde er die Geschichte bis zu ihrem bitteren Ende erzählen.
»Anna erwartete ein Kind«, sagte er und würgte kurz an den Worten. »Ihr Liebhaber verließ sie, nachdem er ihr erklärt hatte, dass er bereits verheiratet sei und ihr nichts bieten könne. Meine Familie verabscheute jede Form von Skandal und verbannte sie aus unserer Mitte. Es war, als wäre sie plötzlich gestorben. Mein Vater enterbte Anna, so dass sie beinahe mittellos war. Sie beschloss, nach Frankreich zu reisen und die Folgen ihrer Schande allein zu tragen. Bevor sie abreiste, kam sie zu mir. Sie bat mich nicht um Geld oder irgendeine Art von Hilfe … nur um meine Versicherung, dass ich sie immer noch liebte. Und genau diese Bitte konnte ich ihr nicht erfüllen. Ich wandte mich von ihr ab. Ich sprach nicht einmal mit ihr. Und als sie weiterhin meinen Namen sagte und versuchte, die Arme um mich zu legen … nannte ich sie eine Hure und ging.«
Edward begann zu weinen, und die Tränen schienen ihm die letzte Kraft zu nehmen. »Ich sah sie nie wieder. Sie reiste nach Frankreich, um bei einer entfernten Cousine zu wohnen. Später erfuhren wir, dass sie bei der Geburt gestorben war. Es gelang mir, den Gedanken an sie für einige Jahre zu verdrängen – ansonsten wäre ich wahnsinnig geworden. Und gerade als ich fast vergessen hatte, dass sie jemals gelebt hatte, wurdest du geboren.«
Er betupfte sich das Gesicht mit einem Taschentuch, aber der Tränenfluss wollte nicht versiegen. »Du sahst ihr so ähnlich, dass ich jedes Mal erschüttert war, wenn ich dich ansah. Ich empfand es als grausames Schicksal, sie in deinem Gesicht zu sehen, in deinen Augen … du erinnerst mich ständig an meine Grausamkeit der Schwester gegenüber. Und noch schlimmer war die gleiche Art und Weise, wie du die Dinge sahst. Du warst wie die Wiedergeburt meiner Schwester. Ich wollte dich nicht verlieren, so wie ich sie verloren hatte. Ich wollte, dass du mir ähnlicher seist … vernünftig, ernsthaft, völlig ohne Fantasie … dann würdest du mich niemals verlassen. Aber je mehr ich versuchte, dich zu formen, desto mehr Widerstand hast du geleistet … desto mehr wurdest du wie sie. Alles, was ich in bester Absicht tat, war ein Fehler.«
Julia wischte sich jetzt selbst die Tränen von den Wangen. »Einschließlich der Heirat mit Lord Savage.«
»Die ganz besonders«, stimmte Edward mit erstickter Stimme zu. »Ich dachte, diese Ehe ließe dir keine Wahl, als so zu werden, wie ich dich haben wollte. Aber ebenso wie Anna hast du rebelliert. Du hast deinen Namen abgelegt und bist zur Bühne gegangen, und was noch schlimmer war: Du hattest Erfolg. Ich versuchte, dich zu bestrafen, indem ich dich enterbte … aber das schien dich nicht zu bekümmern.«
»Du hast recht, das Geld war mir nichts wert«, murmelte Julia mit unsicherer Stimme. »Ich wollte nur, dass du mich liebst.«
Ihr Vater schüttelte den Kopf, und die Bewegung erinnerte an das Wackeln eines zerbrochenen Spielzeugs. »Ich wollte dich nicht lieben, wenn ich dich schon nicht ändern konnte. Ich wollte das ganze Unheil nicht noch einmal ertragen.«
Und jetzt? wollte Julia fragen und hatte noch viele Fragen auf dem Herzen. War es zu spät für sie? Warum hatte er sich überwunden, ihr all das zu erzählen? Sie fürchtete sich vor seiner Hoffnung, sie zu sich zurückzuholen. Oder würde er vielleicht versuchen, sie so zu respektieren, wie sie war? Aber es war zu früh für Fragen. Fürs erste reichte das Verständnis.
Sie sah ihren Vater an und erkannte an seinem Gesicht, wie erschöpft er war. Seine Augenlider wurden schwer, und das Kinn fiel ihm auf die Brust. »Danke, dass du es mir erzählt hast«, flüsterte sie und beugte sich über ihn, um seine Kissen zu ordnen. »Schlaf jetzt – du bist müde.«
»Du … bleibst?« fragte er mühsam.
Sie nickte und lächelte zärtlich. »Ich bleibe, bis es dir besser geht, Vater.«
Obwohl die Geständnisse ihres Vaters sie so erschüttert hatten, dass sie nicht hungrig war, aß Julia mechanisch einen kleinen Teller mit Hühnchen und gekochtem Gemüse von dem Tablett, das man ihr aufs Zimmer gebracht hatte.
Sie hatte Eva erzählt, dass alles ausgesprochen worden sei, und ihre Mutter hatte ohne große Überraschung geantwortet: »Ich wusste von der armen
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