Das Geheimnis der Rose
Winken reagiert, aber Julia hielt weiterhin die Illusion aufrecht und wartete geduldig darauf, dass der Lärm abebbte. In ihrem hellblauen Kleid und mit den langen blonden Locken, die ihr über den Rücken fielen, wirkte sie zerbrechlich schön.
»Hinreißendes Geschöpf«, sagte William begeistert. »Was gäbe ich darum, eine Kostprobe ihrer Reize zu bekommen!«
»Nicht, solange ich lebe«, murmelte Damon und warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. »Sie gehört mir.«
William schien überrascht durch die Bemerkung. »Soll das heißen, du hast sie zu deiner Mätresse gemacht? Meinst du nicht, es wäre klug gewesen, zunächst Pauline loszuwerden?«
»Nein, sie ist nicht meine Geliebte. Sie hat einen größeren Anspruch an mich.«
»Das verstehe ich nicht, Damon, sie ist nicht…
Während William seinen älteren Bruder anstarrte, stieß er ein unterdrücktes ungläubiges Lachen aus. »Mein Gott, du willst doch nicht etwa sagen, dass sie … nein.« Er schüttelte den Kopf. Nein«, wiederholte er verwundert und sah schnell von Damons Gesicht zu der Frau auf der Bühne. »Sie kann doch unmöglich … Julia Hargate sein. Wie ist das möglich?«
»Ihr Vater enterbte sie, als sie ihr Zuhause verließ und sich der Bühne zuwandte. Sie hat sich quasi als Jessica Wentworth neu erfunden.«
William sprach schnell und mit gedämpfter Stimme, während sein Blick auf die Bühne geheftet blieb. »Mein Gott, du bist ja wohl der glücklichste Bursche, der jemals gelebt hat! Und außerdem solltest du Vaters Füße küssen, dass er diese Heirat mit ihr arrangiert hat …«
»So einfach liegen die Dinge nicht«, erwiderte Damon grimmig. »Glaubst du wirklich, ich bin in der Lage, sie als meine Frau zu beanspruchen und auf das Schloss in Warwickshire zu schleifen?«
»Nun ja, da gibt es noch die Sache mit Pauline …«
»Pauline ist noch das geringste Problem. Julia hat nicht den geringsten Wunsch, das Leben aufzugeben, das sie sich aufgebaut hat.«
William war außerordentlich erstaunt. »Willst du damit sagen, dass Julia nicht deine Frau sein will? Jede Frau, die bei Verstand ist, würde danach streben, einen Mann mit deinem Titel und Vermögen zu heiraten …«
»Allem Anschein nach hat sie bereits, was sie will.«
»Ein Leben am Theater?« fragte William skeptisch.
»Sie ist eine unabhängige Frau mit einer erfolgreichen Karriere.«
»Eine Frau, die ihre Karriere einer Ehe vorzieht?« fragte William und sah bei dieser Vorstellung ziemlich beleidigt aus. »Das ist unnatürlich.«
»Julia möchte ihre eigenen Entscheidungen treffen, was kaum überraschend ist, nachdem sie ihr ganzes Leben lang von Lord Hargate beherrscht und gegängelt wurde.«
»Ich könnte es verstehen, wenn sie ein Blaustrumpf oder eine Hexe wäre … aber eine Frau mit ihrem Aussehen und ihrer Herkunft …« Verblüfft konzentrierte sich William auf die Szene, die sich vor ihnen auf der Bühne abspielte.
Es traten noch mehr Personen auf: ein korpulenter alter Mann, der als Julias gesellschaftlich ehrgeiziger Vater viele Lacher erntete, und eine kleine Frau mit lockigen Haaren als ihre Zofe. Bald trat auch ein großer nichtssagend gutaussehender Verehrer auf. Er war fest entschlossen, der aristokratischen Dame den Hof zu machen und auch die Zustimmung ihres Vaters zu gewinnen. Es folgte eine leichte Unterhaltung voller Charme und gesellschaftlicher Satire.
Julia strahlte in ihrer Rolle als Christine eine Mischung aus Liebreiz und Einsamkeit aus und wünschte sich offensichtlich mehr Abwechslung als die Beschränkungen, die ihr Leben ihr erlaubte. Die nächste Szene zeigte sie auf der Suche nach einem Abenteuer. Sie wagte es, sich als Hausmädchen auszugeben und ohne Anstandsdame in die Stadt zu gehen. Ein weiterer sorgfältig gemalter Hintergrund und verschiedene Requisiten wurden enthüllt und gaukelten eine belebte Ortschaft am Meer vor.
Christine wirkte verloren zwischen den geschäftigen Straßenhändlern und Stadtmenschen und spazierte über die Bühne bis sie zufällig gegen einen großen Mann mit mahagonibraunen Haaren stieß. Noch bevor Logan Scott sich umdrehte und sein Gesicht zeigte, wusste das Theaterpublikum, wer er war, und brach in heftigen Applaus aus.
Sein Empfang war ebenso leidenschaftlich wie die Reaktion, die Julia ausgelöst hatte. Die Begeisterungsrufe und das Klatschen dauerten eine volle Minute oder länger. Wie Julia beschloss Scott, in seiner Rolle zu bleiben und abzuwarten, bis der Lärm verebbt
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