Das Geheimnis der Rose
gewöhnliche Leute – und dazu gehören Sie und ich nicht.« Auf sein Stichwort hin ging er an ihr vorbei und betrat die Bühne, Julia hielt stirnrunzelnd eine Falte des Samtvorhangs in der Hand und streichelte über den abgegriffenen Stoff. Um einen besseren Blick auf die sich gerade abspielende Szene zu haben, trat sie vor und sah Arlyss in der Seitenkulisse ihr gegenüber warten. Sie lächelten sich an und winkten sich kurz zu; beide genossen die Freude über den Erfolg des Stücks.
Ein durchdringender heißer Geruch lag in der Luft, bestehend aus den vertrauten Gerüchen nach Farbe, Schweiß und den Kalklichtern, mit denen die Bühne beleuchtet wurde. Aber zu dieser Mischung kam etwas Neues, kaum Spürbares hinzu. Neugierig und aufmerksam sah Julia an Arlyss vorbei auf den Hintergrund und die Kulissen.
Nichts schien ungewöhnlich, aber ein sechster Sinn sagte ihr, dass etwas nicht stimmte. Besorgt wandte sie sich an eine Gruppe von Kulissenschiebern und Zimmerleuten, die sich auf den nächsten Szenenwechsel vorbereiteten. Sie überlegte, ob diese wohl auch das Gefühl hatten, dass etwas nicht in Ordnung war, aber sie schienen nicht im Geringsten beunruhigt.
Ganz plötzlich bemerkte Julia eine Spur von Rauch. Panik durchfuhr ihren Körper. Mit der Überlegung, dass sie es sich vielleicht nur einbildete, atmete sie tiefer ein. Der Geruch wurde stärker. Ihr Herz schlug heftig, und ihre Gedanken gerieten vollkommen durcheinander. Vor achtzehn Jahren waren die Theater in der Drury Lane und in Covent Garden durch Flammen zerstört worden. Die Anzahl der Toten bei solchen Unglücken war ausgesprochen hoch, nicht nur durch Feuer und Rauch, sondern auch durch die Panik, die in einem so vollen Gebäude entstand.
Menschen wurden zerdrückt und niedergetrampelt, selbst wenn das Feuer rasch gelöscht wurde. Bald käme ihr Stichwort – aber wo brannte es, wenn sie nichts sehen konnte?
Wie als Antwort auf ihre stumme Frage ging die Kulisse auf der rechten Bühnenseite in Flammen auf. Durch ein fahrlässig aufgestelltes Licht musste die Kulisse überhitzt worden sein, und jetzt fraß sich die Flamme gierig über die farbbedeckte Oberfläche. Die Schauspieler auf der Bühne erstarrten, als ihnen die Katastrophe plötzlich bewusst wurde, während Schreie durch das Publikum gellten. »Mein Gott«, flüsterte Julia, während einige Mitglieder der Bühnentechnik fluchend an ihr vorbeidrängten.
»Um Himmels willen!« rief Wusste und starrte gebannt auf das Feuer, das auf einer Seite der Bühne ausgebrochen war. »Damon, wir müssen hier raus!« In den Logen über, unter und neben ihnen brach Chaos aus, als das Publikum erkannte, was geschehen war. Menschen kämpften wie wahnsinnig, stießen und schoben einander in dem wilden Kampf, der tödlichen Falle zu entkommen. Frauen kreischten entsetzt, während Männer um sich schlugen und stießen, um sich einen Weg durch den Aufruhr zu erzwingen.
Damon starrte die Flammen auf der Bühne an und wusste, dass es an ein Wunder grenzte, wenn man ihrer Herr würde. Die Wasserreservoirs oberhalb der Bühne schienen trotz verzweifelter Bemühungen der Bühnentechnik nur von geringem Nutzen zu sein. Rote Flammen schlängelten sich über die gemalten Kulissen und schossen über den Hintergrund, wodurch Fetzen der Dekoration sich zusammenrollten und brennend auf die Bühne fielen. Durch Rauch und Feuerregen hindurch sah Damon Julias schlanke Gestalt, wie sie sich bückte und ein wassergetränktes Tuch faltete, um die Flammen zurückzudrängen. Sie war hinter den Männern der Technik und den männlichen Schauspielern geblieben, um das Feuer zu bekämpfen. »Verdammt, Julia!« rief er, aber es verlor sich in dem verängstigten Heulen der Menge. Jeder vernünftige Gedanke wurde von dem Bedürfnis verschlungen, zu ihr zu gelangen.
Er lief aus der Loge und bahnte sich den Weg zu einer der beiden großen Treppen, die zum Hauptfoyer des Theaters im Erdgeschoß führten. Die Treppe war verstopft von der Menge, die drängte und kreischte. Wusste folgte ihm auf den Fersen, als er sich in das Gewühl stürzte. »Lass uns versuchen, den Seiteneingang zu erreichen«, keuchte Wusste. »Dort ist weniger los als vorn.«
»Geh du da lang«, sagte Damon über die Schulter. »Ich gehe wieder hinein.«
»Wofür? Wegen Julia? Sie ist von einem Dutzend ihrer Leute umgeben, die sich viel besser um sie kümmern können. Bis du die Bühne erreicht hast, ist sie draußen … und du könntest in der Falle
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