Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
nach der Waffe verzehrte. Zuerst versuchte er, ihr das gute Stück abzuhandeln, und erhöhte seine Angebote von einer anfangs viel zu niedrigen Summe bis zu einem klei nen Vermögen. Ihre beharrliche Ablehnung steigerte indes nur sein Verlangen, so dass er bald schon über andere Wege nachsann, die wertvolle Klinge in seinen Besitz zu bringen. Die Anwendung von Gewalt schien ihm dafür erfolgversprechend, denn er traute dem schmächtigen Jungen, den sie vorstellte, keine großen Kampfkünste und nur geringe Muskelkräfte zu. Wie war ein so zarter Jüngling bloß zu einer so schönen Waffe gekommen?, fragte er sich unmutig. So suchte er ständig nach einem Anlass, mit ihr in Streit zu geraten, um sie zu einem Zweikampf mit sicherem Ausgang herauszufordern. Geschickt wich Maria den plumpen Provokationen aus. Zu seiner Begehrlichkeit nach dem Schwert gesellte sich nämlich Misstrauen, denn so gut und so schnell Maria auch Arabisch gelernt hatte, war nicht zu überhören, dass dies nicht ihre Muttersprache war.
»Was für ein seltsames Arabisch sprichst du eigentlich?«, fragte er sie vor allen Mitreisenden am Lagerfeuer. Geistesgegenwärtig antwortet Hafis für sie, dass sein kleiner Bruder aus Balch in Chorassan stamme.
»Ein Afghane also«, brummte der Dicke mäßig überzeugt.
Aber nicht nur Maria litt unter der Anwesenheit des eitlen Mannes. Seine Prahlerei verleidete Hafis die Abende am Lagerfeuer, die der Perser liebte, weil sie Gelegenheit für Gespräche und den Austausch von Geschichten und Gedichten boten. So konnte es durchaus dazu kommen, dass sich um das Feuer einer Karawane Nachrichten und Geschehnisse aus der ganzen Welt, von Zi pangu bis Lusitanien, verbreiteten. Dieses Mal jedoch nicht, und das lag keineswegs an der Reisegesellschaft, sondern an der Anwesenheit des Dicken. Nicht nur, dass er in der Runde stets das Wort an sich riss und es bis zur Nachtruhe nicht mehr abzugeben pflegte, der Kauf mann aus Kairo erzählte überdies auch jedem, ganz gleich, ob er es hören wollte oder nicht, dass er nicht ägyptischer, sondern osmanischer Herkunft sei. Allerdings verstand er kein Türkisch, wie Hafis schon bald erausfand. Über seine Geschäfte sprach er erstaunlich wenig, obwohl die größte Anzahl von Kamelen in der Karawane seine Waren trugen, dafür gab er damit an, ein großer Dichter zu sein, worüber Hafis nur mitleidig lächelte, und zudem ein großer Kriegsmann.
»Die geschliffene Feder tötet wie das scharfe Schwert. Dichtkunst und Kriegskunst gehören zusammen wie die linke Hand und die rechte Hand«, verkündete er selbstgefällig am Lagerfeuer und schien sehr stolz auf seine Metapher zu sein.
»Eine Frage, Effendi, vergleichst du die rechte Hand mit der Kriegskunst oder die linke?«, erkundigte sich Hafis.
»Bah! Was für eine dumme Frage«, winkte er ab.
»Ich frage nur deshalb, um zu erfahren, wofür man mehr Geschicklichkeit benötigt und was man getrost mit links erledigen kann: die Kriegskunst oder die Dichtkunst?«
Maria vergrub den Kopf in ihrem Ärmel, um ein Auflachen zu ersticken. Derart in Verlegenheit gebracht und alle Augen auf sich gerichtet, lief er knallrot an und blickte sich wütend nach einem Ausweg suchend in der Runde um. Seine Augen blieben an Maria hängen. Sie kam ihm gerade recht.
»Wagst du es etwa, über mich zu lachen?!« Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab, sondern brüllte sogleich über die Flammen hinweg: »Wenn du ein richtiger Kerl bist, dann lass uns um dein Schwert kämpfen. Der Sieger soll die Waffe des anderen bekommen!«
»Ich bin nicht interessiert an deinem Saif!«, gab sie möglichst gelangweilt zurück.
Er lachte höhnisch. »Es ist ein guter Saif, ein meisterhaft geschmiedeter Krummsäbel. Du bist nur zu feige, du kleiner Kläffer! Du Sohn einer Hündin! Du Dreck unter meinen Sohlen!«
Die Blicke der Reisenden richteten sich auf Maria. Diese Beleidigungen konnte sie nicht ignorieren. Sie verlangten, mit Blut gesühnt zu werden.
»Was willst du, du Sohn eines räudigen Schafbocks? Du kastriertes Warzenschwein!«, ging Hafis seinerseits den Angeber mit Schmähungen an, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und Maria aus der gefährlichen Situation zu befreien.
»Wenn ich mit dem Kleinen da fertig bin, bist du an der Reihe«, schrie der Dicke, wobei seine Stimme sich unvorteilhaft überschlug. Aus seinen Augen schossen Blitze.
»Erst wir, du Ochsenfrosch!«, ließ Hafis nicht locker.
Doch so außer sich der Kaufmann auch war, so
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