Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
um sich zurechtzufinden. Richtig, sie befand sich in diesem Kloster der Rosenkreuzer mitten im Schwarzwald. Und der gut aussehende Mann, der vor ihr hockte, nannte sich Alfonso und war auf seltsame Art mit ihr verwandt.
Es gelang ihr nicht, sich dem, was sie in der Meditation gesehen und erfahren hatte, zu entziehen. Wie ein großer, drückender, aber auch betäubender Schatten lasteten die geschauten Geschehnisse auf ihr. Dann traf sie der Gedanke an ihre Kinder, Angst und Sehnsucht nach Katharina und Benjamin rissen an ihrem Herzen. Ihre Gesichtszüge verzerrten sich vor Schmerz.
Alfonso bat sie um Entschuldigung, falls er sie gestört haben sollte. Doch als er aus seinem Zimmer getreten war, um einen Morgenspaziergang zu unternehmen, hatte er sie so schön und versunken dasitzen sehen. Und nicht anders gekonnt, als sich zu ihr zu hocken und sie zu betrachten. Sie erinnerte ihn an eine von Botticellis Frauengestalten in La Primavera .
Marta dagegen war, als ob sie durch eine dicke Folie blickte. Seine Lippen bewegten sich, und sie vernahm sogar undeutliche Laute, die wie ein Raunen klangen, aber seine Worte drangen nicht zu ihr durch.
»Die Kinder«, meinte sie nur dumpf. Dann zerriss die Membran, die sie noch von der Welt trennte.
»Erzähl mir alles, was du gesehen hast!«
»Warte hier«, bat sie. Marta verschwand in ihr Zimmer, duschte heiß und danach kalt, zog sich eine Jeans und ein T-Shirt an und kehrte zu ihm zurück. Sie lehnte sich an die Wand und blickte in den blauen Himmel, während es nur so aus ihr heraussprudelte. Als könnte sie mit jedem Wort die Entfernung, die sie von Katharina und Benjamin trennte, verkürzen. Manchmal fiel er ihr ins Wort, bat sie, ein Detail genauer zu schildern oder einen Menschen besser zu beschreiben. Als sie endete, war sie schweißgebadet und er völlig ergriffen von der Gewalt ihrer Geschichte. Bittend sah sie in sein nachdenkliches Gesicht, in der Hoffnung, ihm gelänge es, die beunruhigende Vielfalt zu ordnen, denn sie war mit einer Welt in Berührung gekommen, von der sie bisher nicht einmal geahnt hatte, dass sie überhaupt existierte. Sie fühlte sich überfordert, gleichzeitig aber auch reich. Glück und Furcht, Unsicherheit und Klarheit mischten sich in ihrem Empfinden. Sie hatte das Gefühl, als wäre die ganze Welt auf sie eingestürmt, als hätte sie die Welt so gesehen, wie Gott sie sah. Alles und alles gleichzeitig.
»Dann weißt du ja jetzt, wie die isra ’ funktioniert«, fasste er ihre Schilderung zusammen, auch um ihr Mut zu machen.
Unsicher wiegte sie den Kopf hin und her. »Wie soll ich jemandem erklären oder beibringen, was ich selbst kaum verstehe? Wie soll ich das dem Entführer von Katharina und Benjamin bloß begreiflich machen?«
»Ich verstehe das Problem, man beherrscht es zwar, aber man kann es nicht vermitteln.«
Sie lachte bitter auf. »Beherrschen? Man beherrscht es nicht, es beherrscht einen!«
Er machte nur eine vage Handbewegung, als wäre das jetzt nicht so wichtig. »Es ist, als wolle man einen Kuss durch Boten senden, so nennen es jedenfalls die Sufis.«
»Ja, aber wie sendet man einen Kuss durch Boten?«
Alfonso zuckte mit den Achseln. Dann schlug er vor, in die Küche zu gehen, um Tee zu trinken und sich zu stärken. Sie folgte ihm ohne rechte Lust, weil sie nichts anderes mit sich anzufangen wusste. Appetitlos, nur der Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme gehorchend, stopf te sie zwei Marmeladenbrötchen in sich hinein.
»Jetzt hilft nur noch frische Luft!«, entschied er.
Sie verließen den Hof, liefen über Wiesen und tauchten in den Wald ein. Anfangs liefen sie über einen federnden Boden aus Fichtennadeln, bis sie in einen Mischwald gelangten. Über den schwarzen Waldboden krochen, unterbrochen vom Grün der Moospolster und dem Blau der Blumen, knorrige Wurzeln.
»Ich will meine Kinder wiederhaben«, stöhnte sie auf. Fieberhaft dachte sie darüber nach, wie sie dem fidai ihr Wissen so vermitteln konnte, dass er ihr im Austausch die Kinder zurückgab. Dann lehnte sie sich an einen Baum und berührte mit den nach hinten gedrehten Handflächen die warme Rinde einer Buche. Unter der groben Rinde fühlte sie den Baum pulsieren. Sie stieß sich ab, nahm Alfonsos Hände und funkelte ihn an. Die Idee, so verrückt sie klingen mochte, stand immer deutlicher vor ihr.
»Weißt du, wie man einen Kuss mit einem Boten sendet? Ganz einfach! Indem man selbst zum Boten wird!«
Er pfiff durch die Zähne und mochte sich fragen,
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