Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
nur darauf bestanden, ihn zu begleiten, dann wären ihm diese nächtlichen Suchaktionen und auch die Sorgen erspart geblieben. Aber es nützte nichts, sich jetzt Selbstvorwürfe zu machen. Er musste Meister Paracelsus finden. Fast hätte er nach über einer Stunde der Suche aufgegeben, als er auf einer breiteren Gasse am Ende des Viertels etwas auf der Straße liegen sah. Er eilte dorthin und erkannte, dass es Paracelsus war. Schnell war er bei ihm und stellte fest, dass Paracelsus am Kopf schwer verletzt war. Er legte sein Ohr auf seine Brust und horchte, ob noch ein Herzschlag zu hören war. Es war mehr ein leichtes Vibrieren, das er spürte, als einen deutlichen Herzschlag, der an sein Ohr herangetragen wurde. Gott sei Dank, er lebte noch. Aber sein Meister würde dringend Hilfe brauchen. Mühevoll hob er den schwerverletzten Mann hoch und schleppte ihn über der Schulter nach Hause.
Dort angekommen, untersuchte Klaus den Doctor. Paracelsus hatte seinem Diener und Schüler viel beigebracht. Klaus stellte zahlreiche Platzwunden und Prellungen am ganzen Körper fest. Bei den vielen Wunden schossen Klaus Tränen in die Augen. Man hatte seinen Meister mehr als übel zugerichtet und er machte sich die größten Vorwürfe, ihn nicht begleitet zu haben. Die Übeltäter mussten mit größter Brutalität vorgegangen sein. Er schniefte und putzte sich die Nase am Rockärmel ab. Dann versorgte er die Wunden und versuchte, mit kalten Kompressen und Wadenwickeln das Fieber zu senken, das Paracelsus’ Körper unerbittlich schüttelte. So wachte er die ganze Nacht bei seinem Herrn und traute sich kaum, ein Auge zuzumachen.
Es wurde schon wieder hell, als sich der geschundene Körper des Doctors regte und Paracelsus mit dünner Stimme nach Wasser verlangte. Klaus schöpfte wieder Hoffnung für seinen Meister und das feuchte Nass schien diesen sogar zu beleben. Mit Klaus’ Hilfe konnte sich Paracelsus sogar ein wenig aufrichten.
»Klaus«, flüsterte Paracelsus nun heiser, »du musst mir einen Gefallen tun. Geh und hole einen Notar, ich will ihm mein Testament diktieren.«
»Aber Meister, Ihr seid doch viel zu schwach«, entfuhr es dem jungen Mann.
»Bitte, Klaus, mach schnell, ich habe nicht mehr viel Zeit«, flehte der Arzt.
Klaus erkannte den Ernst der Lage, nickte zustimmend, griff nach seinem Hut, vergaß sogar, seine Jacke überzuziehen und eilte hinaus. Nach einiger Zeit kehrte er in Begleitung eines Notars zurück.
»Ihr müsst mein Testament aufnehmen, ehrenwerter Advocatus, hört Ihr, es ist von größter Wichtigkeit«, keuchte der sterbende Arzt.
Der Notar nickte und machte sich bereit, den letzten Willen des Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, aufzunehmen.
»Mein ganzer Besitz, besonders die medizinische Ausrüstung, soll mein Diener und Schüler Klaus erben. Es ist nicht viel, da ich über keine großen Reichtümer verfüge – das meiste Geld habe ich stets unter den Armen verteilt und ihnen damit teure Medikamente verschafft – aber er kann damit seine Studien zum Medicus vollenden. Er wird ein guter Arzt werden. Mit dem noch vorhandenen Geld soll er einen Vertrag mit dem Vermieter dieses ehrwürdigen Hauses abschließen.« Dabei lachte Paracelsus gequält, denn er wusste, welch ein geldgieriger Halunke der Vermieter dieses Hauses war. »Es soll wohl reichen, hier noch einige Monate zu wohnen.« Paracelsus machte eine Pause, um nach Luft zu ringen. Die gebrochenen Rippen machten ihm sehr zu schaffen. Klaus warf dem Notar einen seltsam berührten Blick zu.
»Edler Doctor, wenn Ihr nicht mehr habt, das hättet Ihr auch ohne meine Hilfe an Euren Diener übergeben können«, bemerkte der Notar. »Ihr gebt unnötig Euer Geld für eine einfache Sache aus!« Paracelsus lachte wieder krächzend und fuhr mit seinem Diktat fort.
»Ihr irrt Euch, ehrenwerter Notar, Ihr irrt Euch gewaltig, so wie sich alle geirrt haben. Es geht um mehr als um ein armseliges Vermögen eines einfachen Mannes. Hört mir nun gut zu. Sie werden mich noch nicht einmal im Grabe in Ruhe lassen, sondern wieder ausgraben und gegen Morgen legen, so haben sie es schon immer getan, wenn das Werk noch nicht vollendet war, schon immer, hört Ihr? Dort auf dem Tisch liegen meine Studien. Klaus, hol sie bitte her.«
Nachdem der sterbende Arzt die Unterlagen erhalten hatte, nahm er noch ein letztes Mal jedes Blatt sorgsam in die Hände. Dann teilte er die Dokumente unter dem Notar und Klaus auf.
»Diese
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