Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
so geschah. Warum suchte dieser schreckliche Albdruck ausgerechnet ihn, den churfürstlichen Commissarius, heim?
Mit etwas Wein versuchte er, der Erregung Herr zu werden, sich zu beruhigen. Doch weiter, er musste weiterlesen, so schwer es ihm auch fiel. Und so las er atemlos den Bericht des Wilhelm von Tudèle.
... Im Handgemenge dringen die Kreuzritter in die Stadt ein. Durch den gewaltigen Ansturm des Kreuzfahrerheeres sind die Belagerten gezwungen, Mauern und Wall zu verlassen. Gemeinsam mit Frauen und Kindern suchen sie ihr Heil in der Flucht und eilen in die größeren Gebäude der Stadt, zum Beispiel die Kirchen, und läuten die Glocken. Doch niemand kann sie vor der Wucht des Ansturms der aufgebrachten Kreuzfahrer schützen. Auch wer sich in eine Kirche geflüchtet hatte, wurde letztendlich getötet. Nicht das Kreuz rettete ihn, auch nicht der Altar oder gar der Gekreuzigte selbst. Selbst die Priester wurden von den rasenden Knechten getötet. Frauen und Kinder wurden brutal niedergemetzelt. Niemand, glaube ich, entkam diesem Massaker. Noch nie zuvor hatte ich ein solches Blutbad erlebt. Knöcheltief standen die Ritter und Kriegsknechte im Blut ihrer Feinde. Die Knechte drangen in Häuser ein und fanden viele Pretiosen wertvolle Güter, die sie hemmungslos plünderten. Als die Heerführer dies sehen, werden sie zornig. Sie jagen die Knechte aus den Häusern wie Hunde. Da die Kriegsknechte nun durch die Barone selbst beraubt sind, schreien diese: Taugenichtse und Gauner! Legt Feuer, legt Feuer in der Stadt! Und schon trugen sie Fackeln zusammen, um Scheiterhaufen zu errichten. Alsbald ergreift Feuer die Stadt und der Schrecken breitet sich in Windeseile aus. Die ganze Stadt lodert lichterloh und wird ein Raub der Flammen. Ein riesiger Scheiterhaufen, der sowohl gute Christen als auch Häretiker für immer verzehret.
Doch wer glaubte, dass dadurch die Pestilenz der Häresie ausgelöschet sei, der irrete. Hier am heiligen Magdalenatag, am 22. Juli im Jahre 1209 Anno Domini , nahm die Hatz der Kreuzfahrer gegen die Ketzer ihren Anfang.
Nachdem Matthias auch diesen Bericht gelesen hatte, stellte er fest, dass die Chronisten in weiten Teilen übereinstimmten. Doch weder Wilhelm von Tudèle noch Peter von Vaux-de Crnay erwähnten den von Caesarius von Heisterbach zitierten Ausspruch des päpstlichen Legaten Arnaldus Amalric: „Tötet sie alle, Gott wird die Seinen schon erkennen!“ Kaum vorstellbar hatte der Legat danach befohlen, die abgeschlagenen Köpfe von hundert feindlichen Gefangenen gegen die Stadt Béziers zu schleudern.
Äußerlich ruhig, aber im Innern tief aufgewühlt, löste sich Matthias von seiner Lektüre. Er brauchte etwas Zeit, um dies alles zu begreifen. Was hatte sein Urahn zu den Vorgängen gesagt? Er suchte die Aufzeichnungen jenes Wilfred vun de Lynde hervor und ging sie so lange durch, bis er fand, was er suchte:
... Anno domini 1209 begann am 22.Tag des Monats Juli noch vor dem Morgengrauen der Sturm auf die Stadt Béziers. Von Trébuchets geschleuderte Brandgeschosse entfachten eine riesige Feuersbrunst in der Stadt. Bevor die Truppen des Kreuzfahrerheers den Sturm auf die Stadt begannen, rief ihnen der päpstliche Legat Arnaldus Amalric zu: Cedite eios! Novit enim dominus crisunt elius, tötet sie alle! Gott kennt die Seinen schon.
Es folgte eine furchtbare Schlacht und ein schreckliches Gemetzel, in dem die Kreuzritter letztendlich die Oberhand gewannen. Alle wurden sie erschlagen, die verteidigenden Ritter und Kriegsknechte, Männer, Frauen und sogar Kinder. Die Überlebenden flüchteten schnell zurück in die engen Straßen und Gassen der Stadt, versteckten sich gar in den Kirchen. Ich war zwar noch ein Knabe, dennoch folgte ich den stürmenden Kreuzrittern, um den Kampf besser aus der Nähe beobachten zu können. So drang ich selbst immer weiter in die Stadt ein, fasziniert vom Kampf der von mir verehrten Ritter, erschrocken und ängstlich angesichts der Explosionen und der Feuersbrunst, die über der Stadt tobte und den Himmel rot verfärbte. Zeitweise glaubte ich, einen feuerroten Drachen zu sehen, der Feuer spuckend über der Stadt seine Bahnen zog und seinerseits das Leid der Menschen dieser Stadt vergrößerte. Ich flüchtete in eine Kirche, als die kriegerischen Horden näher kamen, unwissend dessen, was sich alsbald an diesem Orte ereignen sollte. In der Kirche befanden sich mehrere tausend Frauen, Kinder und alte, gebrechliche Männer und Frauen. Mehrere Geistliche
Weitere Kostenlose Bücher