Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Buch der Ketzer, Liebknecht?«
»Nein, Durchlaucht«, antwortete Matthias.
»So lest denn das Protokoll, dann wird sich Euch erschließen warum ich um Eure Gesundheit besorgt bin.«
Noch in der Nacht las Matthias zunächst das Vernehmungsprotokoll und geriet tatsächlich ins Grübeln. Satan soll die Welt und die Menschen geschaffen haben? Gott nur die Seelen, die geistigen Wesen, die in den fleischlichen Körpern gefangen waren? Unvorstellbar! Aufgewühlt von diesem Protokoll und vom Gedanken, seinen Sohn wieder für lange Zeit zurücklassen zu müssen fand der Anwalt keine Ruhe. So beschloss er, auch die Berichte über das Massaker von Béziers noch zu Hause zu studieren. Zuerst las er den Bericht von Peter von Vaux-de Crnay:
Béziers, in Occitanien gelegen, war eine bewundernswerte blühende Stadt, die aber ganz und gar vom Gift der Häresie verseucht war. Ihre Einwohner waren nicht nur Häretiker, sondern in höchstem Maße Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, Schurken, kurzum ein Volk von allen Sünden voll, mehr als man sich vorstellen kann. Um die Messe zu zelebrieren. In seinen Händen trug er einen Kelch. Einige Einwohner Béziers überfielen den Priester aus dem Hinterhalt, schlugen ihn mit äußerster Heftigkeit und verletzten ihn schwer, indem sie ihm den Arm brachen. Schließlich beraubten sie ihn des Kelches und ließen darin Wasser ab. So verhöhnten und missachteten sie den Leib Christi und das Blut unseres Herrn .
Als das Heer der Unseren vor Béziers angekommen war, entsandten sie in diese Stadt den Bischof derselben, Meister Rainald von Montpellier, der ihnen mit ausgebreiteten Armen in friedfertiger Absicht entgegen gekommen war. Die Unseren erklärten: „Wir sind gekommen, die Häretiker zu verjagen. Wir fordern die katholischen Einwohner – so es hier noch welche gibt – auf, uns die Häretiker auszuliefern, deren Namen der ehrwürdige Bischof nennen wird, denn er kennt sie gut und hat sie namentlich verzeichnet. Ist dies infolge Unkenntnis oder anderer Umstände nicht möglich, so sollen sich die Katholiken aus der Stadt begeben und die Häretiker hinter sich lassen, damit sie deren Schicksal nicht teilen und nicht mit ihnen sterben müssen. Nachdem Rainald von Montpellier im Auftrag der Kreuzritter diese Botschaft an die Einwohner Béziers überbracht hatte, verwarfen jene nach kurzen Überlegungen diese Bedingungen, lehnten sich gegen Gott auf und schlossen selbst ein Bündnis mit dem Tod. Sie zogen es vor, lieber als Häretiker zu sterben, denn als Christen in der Gemeinschaft der katholischen Kirche zu leben. Noch am gleichen Tag brachen die Kampfhandlungen aus. Einige wagten einen Ausbruch und beschossen das Kreuzritterhemd der Feinde, bevor diese noch den geringsten Angriff unternommen hatten. Empört liefen die Trossknechte des Heeres, die man in der Sprache des gemeinen Volkes, dem Occitan, „Ribauds“ nannte, zu den Stadtmauern. Ohne Warnung und ohne vorherige Rücksprache mit den Adeligen des Heeres nahmen sie in bewundernswerter Weise die Wälle der Stadt und öffneten im Nu die Tore, damit das Heer Einzug halten konnte. Was soll ich hinzufügen? Sobald das gesamte Heer in die Stadt eingedrungen war, metzelten sie fast die gesamte Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder nieder und legten die Stadt in Flammen. Béziers wurde am Festtag der heiligen Maria Magdalena, am 22. Juli im Jahre 1209 nach der Fleischwerdung unseres Herren, eingenommen.
Oh, höchste Gerechtigkeit der Vorsehung!
Wie wir es zu Beginn dieses Werkes dargelegt haben, behaupteten die Häretiker, die heilige Maria Magdalena sei die Buhlerin Christi gewesen. Schlimmer noch: Gerade in der Kirche, die der heiligen Maria Magdalena gewidmet war, hatten die Einwohner Béziers einen Vizegrafen getötet und dem Bischof gar die Zähne ausgeschlagen. Diese widerlichen Hunde wurden also mit Fug und Recht Auge um Auge, Zahn um Zahn in der Kirche, die sie mit dem Blut ihres Vizegrafen und ihres Bischofs besudelt hatten, niedergemetzelt. Gerade in dieser Kirche, die Maria Magdalena geweiht war, wurden am Tag der Einnahme der Stadt mehr als 7.000 von ihnen, den Häretikern, getötet.
Matthias hielt inne, versuchte erschüttert, sich ein Bild von den Grausamkeiten dieser Schlacht zu machen. 7.000 Menschen in einer Kirche getötet! Unfassbar diese furchtbare Gewalt. Obgleich nicht das allein Matthias zutiefst verstörte; ganz langsam, dennoch mit voller Wucht wurde ihm klar, dass der Traum, der ihn seit langem quälte, einst
Weitere Kostenlose Bücher