Das Geheimnis der Salzschwestern
ihn fest in eine saubere Flanelldecke eingeschlagen und ihm ein Strickmützchen aufgesetzt, und er schob die Zunge aus dem Mund und zog sie wieder zurück wie ein hungriges Kätzchen.
»Na los, versuchen Sie mal, ihn zu füttern«, ermunterte sie eine Krankenschwester und reichte ihr die Flasche. Dee war aber immer noch zu schwach, also übernahm das Claire, die gurrte und lächelte, als ob nicht Dee, sondern sie mit Medikamenten vollgepumpt wäre.
»Keine Sorge«, beruhigte Claire sie, als sie fertig war, »wir holen dich hier so schnell wie möglich raus.«
Für Dee war das Krankenhaus jedoch ein angenehmer Rückzugsort. Die Krankenschwestern fütterten sie mit Wackelpudding und Eis, wann immer sie wollte, sie nahmen das Kind an sich, sobald es zu weinen anfing, und Dee musste nicht einmal zum Duschen aufstehen. Auch das machten die Schwestern, sie wuschen ihr Arme und Beine mit einem Schwamm, so wie sie das vermutlich später auch bei ihrem Kind tun musste.
»Sie haben ja so einiges hinter sich, da ist es ganz normal, erschöpft zu sein«, erklärte ihr die hübsche blonde Schwester. Vermutlich meinte sie das mit dem beinahe Draufgehen und so, aber ehrlich gesagt erinnerte Dee sich kaum noch an irgendetwas.
Sie wusste noch, dass sie im Wohnzimmer herumgeschnüffelt und diesen alten Brief gefunden hatte, aber danach war alles so durcheinander und verrauscht gewesen wie ein Fernseher, der bei Sturm keinen richtigen Empfang mehr hatte. Sie hatte kein klares Bild mehr reinbekommen, und der Ton hatte gar nicht zur Handlung gepasst. Auch jetzt war noch nicht alles klar für sie. Dee erinnerte sich daran, dass Jo sie im Truck im Arm gehalten hatte, dann an grelle Lichter, als sie aufgeschaut und sich auf einer Krankenhaustrage wiedergefunden hatte, und an Claires schrille Stimme, die die Notfallchirurgen zur Eile antrieb. Dee hatte viel Blut gesehen. Selbst sie wusste, dass das kein gutes Zeichen war.
Als sie wieder zu sich gekommen war, war ihr Bauch wieder eine leere Hülle gewesen, und ein fremdes Baby hatte in Claires Armen geweint. »Schau mal, er ist einfach perfekt«, hatte Claire verkündet, sich vorgebeugt und Dee das Bündel entgegengehalten. »Es ist ein Junge. Wie sollen wir ihn denn nennen?«
Dee wusste nicht, was sie sagen sollte. All die Namen, die sie sich überlegt hatte – und die sie so cool gefunden hatte –, wirkten an diesem sauberen und ordentlichen Ort auf einmal albern. Sie sah, wie sich der kleine Knirps in Claires Armen wand. Auch er war sauber, obwohl er doch so eine Chaotin wie Dee zur Mutter hatte, und allein das machte ihr schon Hoffnung. Dieses Baby verdient einen makellosen Namen, dachte sie. Das war sie ihm schuldig. Sie streckte die Hände nach ihm aus, während sie angestrengt nachdachte. »Jordan«, verkündete sie schließlich. »Wie der Fluss. Nach dem möchte ich ihn benennen.«
Aber Claire reichte ihr das Kind nicht, so wie Dee es sich eigentlich gewünscht hätte. »Jordan«, wiederholte sie stattdessen und strich ihm über die winzige Nase. »Das ist ein schöner Name. Und wir können es zu ›Jordy‹ abkürzen.«
Dee war so benommen, dass sie ihn einfach weiter Claire überließ. Sie hatte sowieso Angst, ihn zu halten. Aber bevor sie wieder eindöste, kam ihr ein Bild in den Sinn – die verwitterten Winkel der Scheune und das zarte Rosa der Oleanderbüsche. Wenn man etwas einpflanzte, dachte sie, dann bildete es im Boden so kräftige Wurzeln aus, dass man daran die Generationen abzählen konnte. Und jetzt war Jordy die jüngste Knospe an diesem Ast. Er war mit den Gillys auf eine Art und Weise verbunden, die Dee so nie vorhergesehen hatte.
K APITEL 24
S elbst im Wartezimmer brannte die Krankenhausluft vor lauter Desinfektionsmittel. Es juckte Jo in der Nase. Sie saß jetzt schon seit über einer Stunde hier und bekam langsam Kopfschmerzen.
Dee würde es gut gehen. Das hatten die Ärzte ihr versichert, bevor sie sie den Flur entlang davongerollt hatten. Nur gut, dass sie nachts genauso wenig schlafen konnte wie Dee, dachte Jo, denn sonst hätte sie den dumpfen Schlag unten vermutlich gar nicht gehört, hätte sich vielleicht nicht im Bett aufgesetzt und nervös Dees Namen gerufen, nur um als Antwort vielsagende Stille zu bekommen.
Jetzt sah sie sich im Warteraum um und war froh, diesen Bereich ganz für sich allein zu haben. Im Moment gab es sonst keine Geburten, und Claire hatten sie mit Dee zusammen weggeführt, also griff Jo nach dem Umschlag, den sie in Dees
Weitere Kostenlose Bücher