Das Geheimnis der Salzschwestern
breitete sich im Raum aus, und die musste Claire wohl selbst wieder brechen. »Oh, verdammt«, knurrte sie schließlich, nahm Jo das Kind ab, legte es zurück in sein Körbchen und verließ den Raum.
»Ist mit ihr alles in Ordnung?«, fragte Dee, als die Tür zufiel.
Jo stand auf und strich verlegen über Dees Laken. »Sie kommt schon klar.«
Dee streckte die Hand aus und griff nach Jos Handgelenk. »Ich weiß ja selbst, wie merkwürdig das alles ist«, erklärte sie mit feuchten Augen. »Vielleicht ist es am besten, wenn ich einfach von der Salt Creek Farm weggehe.«
»Nein!« Jo war überrascht, wie laut sie protestiert hatte. Ihr war gar nicht klar gewesen, wie sehr sie sich an Dees Anblick beim Wäschezusammenlegen in der Küche gewöhnt hatte oder daran, sie manchmal laut über irgendetwas im Radio lachen zu hören. Sie strich dem Mädchen übers Haar. »Jetzt ruh dich erst mal aus. Wir sehen uns dann morgen früh.«
Aber Dee hörte sie gar nicht mehr. Sie war schon fast eingeschlafen, also schlich Jo auf Zehenspitzen aus dem Raum, schloss die Tür ganz leise hinter sich und hielt dann auf dem Flur nach Claire Ausschau. Sie fand sie ganz am Ende, wo sie neben der Aufzugbatterie auf und ab marschierte. Ihre Augen waren gerötet, und sie schniefte.
Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Ich wusste ja, dass sie von Whit schwanger war, aber irgendwie hatte ich das inzwischen verdrängt. Mein Gott, ich komme mir so bescheuert vor. Ich bin eifersüchtig auf eine achtzehnjährige Schulabbrecherin ohne Geld, Familie oder Freunde.«
»Sie hat doch uns«, sagte Jo leise, aber nach Claires Bemerkung klang es nicht so, als wäre das etwas Gutes.
»Ich weiß«, knurrte sie und biss die Zähne aufeinander. Einen Moment lang standen sie Schulter an Schulter da, ganz nahe, aber ohne sich zu berühren. Jo dachte an die Babys, die Claire verloren hatte. Ob so was wohl jedes Mal Narben hinterließ? War Claire innen vielleicht auch ganz wund und völlig falsch wieder zusammengewachsen? Das war ihr zwar noch nie in den Sinn gekommen, erschien ihr aber plötzlich logisch.
All die Jahre hatte sie geglaubt, dass sie Claire an jenem Tag in der Scheune gerettet hatte, aber was war denn, wenn sie damit falschlag? Vielleicht hatte vielmehr Claire sie gerettet, indem sie Whit geheiratet hatte? Und wie viel wusste Claire tatsächlich über den Brief, fragte sich Jo. Es war ja offensichtlich, dass Ida ihn geschrieben hatte, aber nicht so eindeutig, an wen. Jo blickte Claire aus zusammengekniffenen Augen an, und diese funkelte zurück.
»Was?«
»Nichts«, meinte Jo. »Ich muss nach Hause und mich um das Salz kümmern. Was willst du machen?«
Claire wischte sich über die Augen. »Ich bleibe hier bei Dee.«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher.«
»Okay, dann komme ich später wieder.«
Sie umarmten sich rasch, hielten einander kurz ganz fest – ließen die Hand auf dem Rücken der anderen ruhen, drehten die Wange zur Seite und waren durchaus bereit, dem Schwesterndasein eine Chance zu geben. Nicht sehr hilfreich war allerdings, dass sie beide nicht besonders viel Nähe ertragen konnten.
Nach der antiseptischen Luft im Krankenhaus war die Sommerhitze wie eine feuchte Ohrfeige, als Jo wieder ins Freie trat. Sie kurbelte die Fenster des Trucks herunter und ließ sich auf dem Weg zum Gut den frischen Wind um die Nase wehen. Dabei dachte sie an Whit. Jordy hatte tatsächlich seine Augen, und das hatte bei ihr alle Alarmglocken schrillen lassen. Worin würde er seinem Vater wohl noch ähneln? Früher einmal hatte sie Whit mehr geliebt als alles andere auf der Welt. Würde es ihr mit seinem Sohn genauso gehen?
Als sie an der Kirche vorbeikam, entdeckte sie Licht und bemerkte Pater Stone, der betend neben dem Altar kniete. Sie fuhr rechts ran, stellte den Motor aus und beobachtete den Pfarrer, aber der regte sich nicht, was Jo merkwürdig fand. Kein Mann – nicht einmal ein Priester – würde für Gott so lange das Haupt senken, dachte sie, außer, auf ihm lastete eine schwere Schuld. Sie war kurz davor, die Wagentür zu öffnen, zögerte aber. Wenn sie jetzt zu ihm ging, würde sie in etwas hineinplatzen, das zu unterbrechen sie kein Recht hatte. Ach, was soll’s, dachte sie schließlich, zog die Schlüssel ab, lief zu den malträtierten Türen des Gotteshauses hinüber und schob sie auf. Im Inneren fiel das Licht des frühen Morgens wie ein Tadel auf Unsere Liebe Frau.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Ethan schreckte
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