Das Geheimnis der Salzschwestern
Frau.«
»Genau.«
Eine Weile schwiegen beide, und dann scharrte Claire mit den Stiefeln im Staub der Scheune herum. Das Schlimmste hatte sie sich bis zum Schluss aufgehoben. »Ich hab die ganze Zeit gedacht«, begann sie nun, »wie sehr du mich wohl hassen musst, weil ich Whit geheiratet habe. Ich dachte, du hegst einen Groll gegen mich, weil ich die Scheune in Brand gesteckt und dir die Zukunft mit Whit weggenommen habe. Aber daran lag es ja gar nicht. Vielleicht hast du mich einfach nur verachtet, weil wir keine richtigen Schwestern sind.« Sie schniefte und wischte sich noch eine Träne von der Wange, und Jo überraschte sich selbst damit, dass sie die Arme ausstreckte und Claire an sich drückte. Sie spürte, wie kräftig deren Arme und Schultern im Laufe des Sommers geworden waren. Sie strich Claire über die roten Wogen ihres Haares. Während sie sich hier ausgesprochen hatten, waren am Himmel die Sterne aufgegangen, zusammen mit einer anmutigen Mondsichel inmitten von wirren Wolkenfetzen. Einen »Frauenmond« hatte ihre Mutter den immer genannt, und jetzt wurde Jo auch klar, warum. Das war der passende Mond für Verschwörungen und um Pläne auszuhecken.
»Du sollst wissen, dass es für mich keine echtere Schwester geben könnte als dich, Claire. Ich war vielleicht dickköpfig und dumm, aber ich hab dich nie gehasst. Nicht so richtig.«
Claire schnäuzte sich. »Und du warst nicht so dumm wie ich. Immerhin sind wir hier draußen zu dritt, und wir haben uns alle von Whit einwickeln lassen, aber ich war als Einzige so blöd, ihn auch noch zu heiraten. Wie clever ist das denn?« Sie schnappte nach Luft und wollte offensichtlich noch etwas hinzufügen, biss sich aber stattdessen auf die Lippe, und Jo wusste, dass sie gerade an Ethan dachte. »Womöglich wird Vernunft ja auch überbewertet«, meinte Claire. »Vielleicht ist Dee weiser als wir beide zusammen, weil sie genau das begriffen hat. Immerhin hat sie das Kind von Whit bekommen.«
Jo schnaubte. »Weise ist an der gar nichts.«
Claire gluckste, aber sie sah so blass und übernächtigt aus, dass Jo sie am liebsten in die Küche verfrachtet und ihr wie früher nach der Schule ein großes Stück Rührkuchen mit Honig und Salz vorgesetzt hätte. Diese gemeinsamen Mahlzeiten lagen jetzt schon so lange zurück, aber salzig und süß, Vergangenheit und Gegenwart schienen doch immer weiter zusammenzurücken. Sie waren also keine echten Schwestern – na und? Und was scherte es sie schon, dass in Jos Adern kein Gilly-Blut floss? Zeit und Hartnäckigkeit hatten sie zu einer Gilly gemacht, und zum ersten Mal in ihrem Leben war sie wirklich froh.
»Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Leichtsinn und Leidenschaft?«, sinnierte Claire, als sie am Rande der Marsch entlang zurückliefen. »Gibt es da überhaupt einen? Ich meine, kann man einen Menschen überhaupt lieben, ohne dafür ordentlich eins auf die Hucke zu kriegen?« Sie rieb sich die Haut unter den Augen, wo am nächsten Morgen dunkle Ringe erblühen würden. Es geht hier gar nicht um Whit, dachte Jo. Sie versucht, sich Ethan von der Seele zu reden.
Jo schüttelte den Kopf. Sie wünschte, sie hätte eine Antwort für Claire, aber soweit sie wusste, hinterließ Liebe immer ihre Spuren. Manchmal musste man sich für sie sogar häuten. Sie legte ihren guten Arm um Claire und passte ihren Schritt an den ihrer Schwester an. »Ich fürchte, nicht«, sagte sie und drückte Claire so fest, dass sie ihre zarten Rippen spüren konnte. Sie wünschte sich wirklich, bessere Neuigkeiten verkünden zu können. »Jedenfalls nicht für uns Gillys.«
K APITEL 27
J edes Mal, wenn Dee dachte, dass das Leben auf der Salt Creek Farm eigentlich doch ganz okay war, passierte irgendetwas Neues, völlig Seltsames, und sie überlegte es sich doch wieder anders. Und dazu gehörte ganz klar das Begräbnis von Claires Pferd. Dee hatte ganz friedlich im Wohnzimmer gesessen, als Jo mit dem grimmigsten Blick hereingestürmt war, den Dee je gesehen hatte, und sie angeblafft hatte, sie solle gefälligst ihren Arsch hochbekommen, sich ein Paar Stiefel, eine Schaufel und eine Taschenlampe schnappen und mit in die Marsch rauskommen.
Mit großen Augen folgte Dee Jo und Claire hinaus zu den Gräbern. Inzwischen war sie mit den Namen auf den Grabsteinen so vertraut, dass sie sie sogar im Dunkeln erkannte. Sie runzelte die Stirn und sah nervös zu Jordy hinüber, der ein paar Schritte entfernt in seiner Salzschüssel schlummerte.
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