Das Geheimnis der Salzschwestern
Was hätte Dee auch sonst mit ihm machen sollen? Im Moment lebte sie von Minute zu Minute und hatte davon wirklich langsam die Nase voll. Sie drehte die Laterne in seiner Nähe um, damit ihn ihr Schein nicht weckte.
Jetzt, wo Jordy nicht mehr in ihrem Bauch, sondern auf der Welt war, betrachtete sie die Zukunft mit ganz anderen Augen – die hatte nämlich die unheimliche Angewohnheit, sich viel schneller in die Gegenwart zu verwandeln, als es einem lieb war.
Hier war es offensichtlich völlig okay, ihr Kind in den Dreck zu legen wie eine Wassermelone, weil sie dabei mithelfen musste, ein fremdes Pferd zu begraben, dieser Realität ging jedoch schnell die Puste aus.
Jo und Claire waren nett zu ihr gewesen, das konnte sie nicht bestreiten.
Aber wenn sie Jordy mitten in der Nacht das Fläschchen gab, fragte Dee sich schon, welchen Nutzen die beiden eigentlich daraus zogen. Sie mochte den Kontakt zu ihrem Vater abgebrochen haben, aber sie war immer noch Cutts Tochter, und er hatte ihr beigebracht, dass im Leben alles über Anreize und Belohnung lief. Wenn Dee etwas wollte, so hatte er sie es gelehrt, dann sollte sie sich besser darauf einstellen, dafür einen Preis zu zahlen, selbst wenn es angeblich umsonst war. In letzter Zeit hatte sie immer mehr das Gefühl, dass Claire und Jo sie nicht aus reiner Herzensgüte auf dem Gut beherbergten. Ohne sie würden die beiden hier nämlich allein aufeinanderhocken und jaulen und sich anfauchen wie die verdammten Katzen in der Scheune. Warum Jo die ertränkte, verstand sie inzwischen nur zu gut.
Sie hörte auf zu graben, lehnte sich auf die Schaufel und wollte sich eigentlich den Schweiß von der Stirn wischen, verschmierte ihn aber nur. Wenn es draußen hell wäre, würde man jetzt all die verschiedenen Farben der Becken sehen. Jo hatte versucht, ihr zu erklären, warum die Bassins so verrückt spielten, wenn Jo mit ihr sprach, verstand Dee meistens kein Wort. Sie hätte nie gedacht, dass Salz so einfach und gleichzeitig so kompliziert sein könnte.
»Dee? Dee!« Auch Claire lehnte sich nun auf ihre Schaufel und sah sie finster an. »Bist du sicher, dass du nichts gesehen oder gehört hast? Denk mal genau nach. Das ist wichtig.«
Dee schüttelte den Kopf. »Nein, gar nichts. Das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Ich war oben und hatte mich mit Jordy hingelegt, und dann hab ich noch im Wohnzimmer ferngesehen.« Der Fernseher war ganz neu, Dee hatte sie gebeten, ihn anzuschaffen. Mit ein wenig Salz und Einsamkeit kam sie schon klar, aber wenn sie nicht völlig verrückt werden wollte, brauchte sie auch eine gewisse Verbindung zur Außenwelt. »Ich hab Jordy das Fläschchen gegeben, bin mit ihm in die Küche gegangen und hab ihn in der Spüle gebadet, und dann sind Sie ja auch schon nach Hause gekommen.«
Aber sie log. Dee wusste ganz genau, was mit Icicle passiert war, auch wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Das war auch gar nicht nötig gewesen. Sie hatte Jordy gerade Wasser über den Bauch gegossen, als sie durch das Küchenfenster beobachtet hatte, wie Whit mit langen Schritten die Salzdämme entlang auf sie zukam.
Plötzlich war er wie angewurzelt stehen geblieben und hatte direkt hinüber zum Fenster und zu Dee geschaut. Ihr Herz hatte ganz heftig geklopft, und sie hätte den armen Jordy fast ertränkt, aber sie konnte auch nicht wegsehen. In diesem Moment kamen alle Erinnerungen an Whit zurück – an seinen weichen Hals in ihren Händen, den Kamm seines Schlüsselbeins, und ja, selbst den Druck seiner Finger um ihre Kehle.
Genau in dem Augenblick quäkte dann Jordy, Dee sah hinab und setzte ihn im Spülbecken auf. Als sie wieder aufschaute, wollte sich Whit gerade in die Scheune schieben. Sie hob Jordy aus dem Wasser, wickelte ihn in ein weißes Handtuch und sah mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster. Whit blieb stehen und blickte erneut zu ihr hinüber. Ganz langsam zog er einen Finger über seinen Hals und legte ihn dann auf seine Lippen. Dee schnappte nach Luft und trat vom Fenster weg. Als sie danach noch einmal hinausschielte, war Whit nicht mehr da.
Nun wachte Jordy auf und begann auf dem Boden herumzuquengeln. Claire seufzte und rammte die Schaufel in den Boden. »Geh doch besser wieder rein, es ist viel zu spät für Jordy. Wenn Jo und ich fertig sind, holen wir Icicle mit dem Truck aus der Scheune. Das brauchst du nun wirklich nicht mit anzusehen.«
Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben fügte Dee sich gern ohne Widerworte. Jo
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