Das Geheimnis Der Schönen Toten
erschreckend sie auch immer sein mag: Das dürfen wir ihr nicht zu Ohren kommen lassen, sie könnte es nicht ertragen!«
»Ich habe Euch verstanden«, sagte Cadfael und ging auf den sandigen Uferstreifen zu, wohin die Träger die Tragbahre gebracht hatten. »Ihr wart immer noch frei, als einzige.«
«Eine genügt! Ja, ich habe es ihr erzählt, alles, was ich weiß, doch da ist noch mehr, wovon ich nichts weiß, und sie will alles erfahren. Sie hat jetzt ein Ziel, einen Grund zum Leben, einen Grund, sich so wie jetzt aus dem Haus zu begeben. Für wie verrückt Ihr das auch halten mögt - es ist immer noch besser, als zu Hause zu sitzen und auf den Tod zu warten.«
Eine dünne Hand zog den Leinenvorhang zur Seite, als Cadfael sich zum Kopfende der Tragbahre hinunterbeugte.
Die Liegefläche war aus Hanf geflochten, so daß sie bei jeder Bewegung nachgab und zudem wenig wog. Darauf ruhte Donata, in übereinandergelegte Decken und Kissen gehüllt. So mußte sie auch schon vor einem Jahr und noch früher gereist sein, als sie ihre letzten Ausflüge in die Welt außerhalb von Longner gemacht hatte. Was sie jetzt ertragen mußte, konnte man kaum ermessen. Unter der leinenen Zeltbahn war ihr ausgezehrtes Gesicht zu sehen. Es war wächsern und verhärmt. Ihre Lippen schimmerten blaugrau und waren fest aufeinandergepreßt, so daß sie sie nur mit Mühe öffnen konnte, um zu sprechen. Ihre Stimme war jedoch noch immer klar und hatte nichts von ihrer höflichen, aber stählernen Autorität verloren.
»Wolltet Ihr mich besuchen, Bruder Cadfael? Pernel vermutete, Ihr hättet etwas auf Longner zu erledigen. Ihr könnt Euch die Mühe sparen. Ich bin auf dem Weg zur Abtei. Soviel ich weiß, hat sich mein Sohn in Dinge verwickelt, die sowohl für den Herrn Abt als auch für den SherifFvon Bedeutung sind. Ich glaube in der Lage zu sein, alles zu klären und Rechenschaft abzulegen.«
»Ich werde gern mit Euch zurückreiten«, sagte Cadfael, »und Euch zu Diensten sein, wo ich nur kann.«
Es hatte jetzt keinen Sinn, zur Vorsicht zu mahnen und ihr gut zuzureden, ebensowenig, sie zur Rückkehr zu bewegen oder zu fragen, wie sie der besorgten Obhut Eudos und seiner Frau entronnen war, um diese Reise zu unternehmen. Ihr grimmig entschlossener Gesichtsausdruck sprach für sich. Sie wußte, was sie tat, und kein Schmerz und kein Risiko hätte sie abschrecken können.
Unstetige Energie war in ihr aufgeflammt wie in einem frisch geschürten Feuer. Und genau das war sie, ein frisch geschürtes Feuer, das zu lange zu Resignation abgedämpft worden war.
»Dann reitet vor, Bruder«, sagte sie, »wenn Ihr so gut sein wollt, und fragt Hugh Beringar, ob er uns in der Wohnung des Abts treffen will. Wir werden auf der Straße langsamer vorankommen, so daß Ihr und er vielleicht vor uns da sein werdet. Aber nicht mein Sohn«, fügte sie hinzu.
Sie hob bei diesen Worten leicht den Kopf, und in ihren Augen war ein kurzes tiefes Funkeln zu sehen. »Laßt ihn in Ruhe! Es ist besser, denke ich, daß die Toten ihre Sünden auf sich nehmen und sie nicht den Lebenden aufbürden.«
»Das ist besser«, bestätigte Cadfael. »Eine schuldenfreie Erbschaft ist angenehmer.«
»Gut!« sagte sie. »Was es zwischen meinem Sohn und mir zu regeln gibt, kann auf sich beruhen, bis die richtige Zeit gekommen ist. Ich werde mich damit befassen. Niemand sonst braucht sich die Mühe zu machen.«
Einer ihrer Träger war gerade dabei, den Sattel des Pferdes trockenzureiben und die durchnäßten Flanken abzuwischen, damit Pernel wieder aufsitzen konnte. Im Schritttempo würden sie noch eine Stunde bis zur Ankunft brauchen. Donata war gefaßt und still wieder auf die Kissen gesunken, und die fleischlosen Züge ihres Gesichts waren würdevoll und zu stoischem Erdulden erstarrt. Selbst auf ihrem Totenbett würde sie vielleicht so aussehen und sich trotzdem kein einziges Stöhnen entschlüpfen lassen. Wenn sie tot war, würde alle Anspannung wie weggewischt sein, so sicher wie das Hinstreichen einer Hand die Augen für immer schließt.
Cadfael bestieg sein Maultier und ritt den Hang hinauf, um dem Foregate und der Stadt zuzustreben.
»Sie weiß es?« sagte Hugh mit fassungslosem Erstaunen.
»Das einzige, worauf Eudo von dem Tag an bestand, an dem ich ihn das erste Mal aufsuchte; der einzige Mensch, den er um keinen Preis in eine so finstere Angelegenheit hineinziehen wollte! Und das letzte, was du selbst sagtest, als wir gestern abend auseinandergingen, war, du hättest
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