Das Geheimnis Der Schönen Toten
ist in Kapitel 69 der Ordensregel festgelegt. Wenn Euch diese Regel so vertraut wäre, wie es sich geziemt, wüßtet Ihr, daß solche Parteilichkeit ein Vergehen ist.«
Es läßt sich nicht sagen, daß Sulien seinen kämpferischen Blick unter diesem Vorwurf senkte oder den Kopf neigte, und er hätte sich wohl einen weit längeren Vortrag anhören müssen, wenn das scharfe Ohr des ihm übergeordneten Ordensbruders in diesem Augenblick nicht den fernen Laut von Cadfaels Stimme gehört hätte, der draußen auf dem Pfad in einiger Entfernung stehengeblieben war, um mit Bruder Winfrid ein paar fröhliche Worte zu wechseln, der gerade dabei war, seinen Spaten zu säubern und seine Werkzeuge wegzulegen. Jerome hatte nicht den Wunsch, dieses unbefriedigende Zwiegespräch durch eine dritte Partei kompliziert zu sehen, am allerwenigsten durch Cadfael, der bei näherer Überlegung vielleicht gerade deshalb mit der Aufgabe betraut worden war, diesen undisziplinierten Gehilfen zu überwachen, damit er nicht allzu früh allzuviel Wissen um das Geschehene erlangte. Es war also am besten, die Dinge vorerst so zu belassen, wie sie waren.
»Ich sehe Euch aber diese Entgleisung nach«, erklärte Jerome mit plötzlichem Großmut, »da ich sehe, wie sehr Euch diese Neuigkeit überrascht hat, und das zu einer Zeit, in der Ihr ohnehin schwer geprüft seid. Mehr sage ich nicht!«
Und damit trat er einen etwas abrupten, aber gleichwohl würdigen Rückzug an und schaffte es gerade noch, draußen vor der Tür ein Dutzend Schritte zu gehen, bis ihm Cadfael begegnete. Sie wechselten im Vorübergehen ein paar Worte, was Cadfael ein wenig überraschte. Eine so brüderliche Zuvorkommenheit bei Jerome ließ leichte Verlegenheit, wenn nicht gar ein schlechtes Gewissen vermuten.
Sulien war dabei, seine aussortierten Bohnen in einen Topf zu tun, um den Inhalt später auf den Komposthaufen zu werfen, als Cadfael die Werkstatt betrag. Sulien sah sich nicht um, als sein Mentor hereinkam. Er hatte die Stimme ebenso erkannt wie den Schritt.
»Was hat Jerome gewollt?« fragte Cadfael mit nur mildem Interesse.
»Zwiebeln. Bruder Petrus hat ihn geschickt.«
Niemand konnte Bruder Jerome irgendwohin schicken, wenn er nicht mindestens den Rang des Priors Robert besaß. Jeromes Dienste waren denen vorbehalten, bei denen sie auf Wohlgefallen stoßen und ihm einen Vorteil einbringen konnten, und der Koch des Abts, ein rothaariger und streitsüchtiger Mann aus dem Norden, hatte Jerome in dieser Hinsicht nichts zu geben, selbst wenn er ihm wohlgesinnt gewesen wäre, was mit Sicherheit nicht der Fall war.
»Ich kann mir vorstellen, daß Bruder Petrus Zwiebeln will. Aber was hat Jerome gewollt?«
»Er wollte wissen, wie es mir hier bei Euch ergeht«, erwiderte Sulien nach kurzer Überlegung. »Das hat er mich jedenfalls gefragt. Und Ihr wißt doch, Cadfael, wie es um mich steht. Ich bin noch nicht ganz sicher, wie es mir ergeht, und weiß auch nicht, was ich tun sollte, aber bevor ich mich entschließe, ob ich gehen oder bleiben werde, wollte ich den Vater Abt wieder aufsuchen. Er hat gesagt, ich dürfe zu ihm kommen, wann immer ich das Bedürfnis verspüre.«
»Dann geht jetzt, wenn Ihr wollt«, sagte Cadfael einfach und musterte aufmerksam die geschickten Hände, welche die Bank von Überresten säuberten, sowie den Kopf, der so eifrig bemüht war, das junge, strenge Gesicht im Schatten zu lassen. »Vor dem Abendgebet ist noch genug Zeit.«
Abt Radulfus musterte seinen Bittsteller mit einem unvoreingenommenen und nachsichtigen Blick. In den letzten drei Tagen hatte sich der Junge auf verständliche Weise verändert. Seine Erschöpfung war verflogen, sein Schritt war jetzt fest und elastisch, Erschöpfung und Anspannung waren aus dem Gesicht gewichen, und die Augen ließen nichts mehr von Gefahr und Schrecken erkennen. Ob die kurze Zeit der Ruhe sein Problem bereits gelöst hatte, war noch nicht auszumachen, aber gewiß war in seinem Auftreten nichts von Unentschiedenheit zu entdecken, ebensowenig an dem entschlossen vorspringenden und sehr beachtlichen Kinn.
»Vater«, sagte Sulien direkt. »Ich bin gekommen, um Euch um die Erlaubnis zu bitten, meine Familie und mein Elternhaus zu besuchen. Es ist nur gerecht, daß ich Einflüssen von innen und von außen gleichermaßen zugänglich bin.«
»Ich dachte«, sagte Radulfus mild, »du wärst vielleicht gekommen, um mir zu sagen, daß dein Problem gelöst ist und daß du dich entschieden hast. Du wirkst so. Wie
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