Das Geheimnis Der Schönen Toten
dieser Gegend aufgehalten hatte und seit einiger Zeit nicht mehr gesehen worden war. Und siehe, schon wieder ist Eure Hand dabei, die Dinge zurechtzubiegen. Von dem Augenblick an, in dem Ihr von der Festnahme des Hausierers erfuhrt, begannt Ihr mit der Jagd nach einem Gutshaus, in dem die Frau vielleicht für den Winter Unterschlupf gefunden hatte, wo jemand vielleicht in der Lage war zu bezeugen, daß sie nach der Trennung von Britric noch am Leben war. Ich bezweifle, daß Ihr erwartet habt, sie dort noch vorzufinden, bin aber sicher, daß Ihr darüber froh wart. Es bedeutete nämlich, daß Ihr nicht in Erscheinung zu treten brauchtet, da sie sich allein melden konnte, nachdem sie erfahren hatte, ein Mann werde beschuldigt, sie ermordet zu haben. Zweimal, Sulien? Zweimal sollen wir akzeptieren, daß Euer Fingerzeig so etwas ist wie ein Fingerzeig Gottes, obwohl Ihr uns kein überzeugenderes Motiv bieten könnt als reine Gerechtigkeitsliebe? Da Ihr so unfehlbar bewiesen hattet, daß die tote Frau nicht Generys sein konnte, wie konntet Ihr da so sicher sein, daß es nicht Gunnild war? Zwei solche wundersamen Rettungen sind zuviel, um daran zu glauben. Gunnilds Überleben wurde bewiesen. Sie erschien, sie sprach, sie war ohne jeden Zweifel Fleisch und Blut. Doch für das Leben von Generys hatten wir nur Euer Wort. Und Euer Wort hat sich als falsch erwiesen. Ich denke, wir brauchen nicht weiter nach einem Namen für die Frau zu suchen, die wir gefunden haben. Ihr habt ihr einen Namen gegeben, indem Ihr ihr den einen verweigert habt.«
Sulien preßte die Lippen aufeinander und biß die Zähne zusammen, als würde er nie mehr ein Wort äußern. Es war zu spät, es mit weiteren Lügen zu versuchen.
»Ich glaube«, sagte Hugh, »daß Ihr keinen Augenblick an ihrem Namen gezweifelt habt, als Ihr davon erfuhrt, was der Pflug der Abtei aus der Erde geholt hatte. Ich glaube, Ihr wußtet sehr genau, daß sie dort lag. Und Ihr wart so gut wie überzeugt, daß Ruald nicht ihr Mörder war. Oh, das kann ich mir vorstellen! Eine Gewißheit, Sulien, zu der nur Gott berechtigt sein kann, der allein alle Dinge mit Sicherheit weiß. Nur Gott und Ihr, denn Ihr wußtet nur zu gut, wer der Mörder war.«
»Kind«, ließ sich Radulfus in dem langandauernden Schweigen vernehmen, »wenn du eine Antwort darauf hast, dann sprich jetzt. Wenn Schuld auf deiner Seele lastet, dann gib deine Verstocktheit auf und gestehe. Wenn nicht, sag uns, wie deine Antwort lautet, denn du hast dir diesen Verdacht selbst zuzuschreiben. Es spricht für dich, daß du es anscheinend nicht zulassen willst, daß ein anderer Mann, ob nun ein Freund oder ein Fremder, die Bürde eines Verbrechens tragen soll, das er nicht zu verantworten hat. Das erwarte ich auch von dir. Aber Lügen sind unwürdig, sogar in einem solchen Fall. Es ist bei weitem besser, alle anderen von jedem Verdacht zu befreien und rundheraus zu sagen: Ich bin der Mann, ihr braucht nicht weiter zu suchen.«
Wieder senkte sich eine Stille auf die kleine Versammlung, und diesmal dauerte sie sogar noch länger, so daß Cadfael diese extreme Stille im Raum als ein Gewicht empfand, das auf seinem Körper lastete und ihm das Atmen schwer machte. Draußen vor dem Fenster senkte sich die Abenddämmerung wie eine dünne, tiefhängende, formlose Wolke auf das Land, und ein bleifarbenes Grau entzog der Welt alle Farbe. Sulien saß reglos und zog die Schultern zurück, um zu spüren, wie die feste Wand ihn stützte, die Augenlider halb über das matte Blau seiner Augen gesenkt.
Nach einer langen Zeit bewegte er sich und hob beide Hände, um sich mit steifen Fingern die Wangen einzudrücken, als hätte die Verzweiflung, die ihn befallen hatte, selbst sein Fleisch verkrampfen lassen, als müßte er die lähmende Kühle loswerden, bevor er sprechen konnte. Doch als er schließlich sprach, tat er es mit einer leisen, vernünftigen und überzeugenden Stimme, hob den Kopf und trat Hugh mit der Gefaßtheit eines Mannes entgegen, der zu einem Entschluß und einer Haltung gekommen ist, von denen er sich nicht leicht wieder abbringen lassen will.
»Nun gut! Ich habe gelogen und immer wieder gelogen, und ich liebe Lügen nicht mehr als Ihr, mein Herr. Wenn ich mit Euch aber eine Abmachung treffe, schwöre ich, sie getreulich zu halten. Ich habe bis jetzt noch nichts gestanden. Aber unter bestimmten Bedingungen werde ich Euch einen Mord gestehen!«
»Bedingungen?« sagte Hugh und hob die schwarzen Augenbrauen halb
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