Das Geheimnis Der Schönen Toten
mehr aufrechterhalten konnte, und wollte gar nicht mehr antworten. Er ist dort gewesen, ja, und hat auch gesehen, wie sie begraben wurde.
Aber er hat sie weder getötet noch begraben.«
»Mir war klar«, sagte der Abt, »daß Ihr ihn zu Dingen hingeführt habt, die ihn verraten hätten. ..«
»Die ihn verraten haben«, unterbrach Hugh.
»Aber da ich nicht alle Einzelheiten kenne, kann ich nicht genau ausmachen, was Ihr aus ihm herausbekommen habt.
Da ist natürlich einmal die Frage, wo genau sie gefunden wurde. Das habe ich verstanden. Er hat Euch korrigiert.
Das war etwas, was er wußte, und es bestätigt seine Geschichte. Ja, er war ein Zeuge.«
»Aber kein Mittäter und nicht einmal ein Zeuge, der alles aus der Nähe mitangesehen hat«, sagte Cadfael. »Er befand sich nicht nahe genug, um das Kreuz zu sehen, das ihr auf die Brust gelegt wurde, denn es war nicht aus Silber, sondern in aller Hast aus zwei Stöckchen von den Büschen zusammengesetzt worden. Nein, er hat sie weder begraben noch getötet, denn wenn er es getan hätte, hätte er uns bei seiner Neigung, die Schuld auf sich zu nehmen, wegen ihrer Verletzungen korrigiert - oder wegen des Fehlens von Verletzungen. Ihr wißt ebensogut wie ich, daß man ihr nicht den Schädel eingeschlagen hat. Sie wies keine erkennbaren Anzeichen einer Verletzung auf. Wenn Sulien gewußt hätte, wie sie gestorben ist, hätte er es uns gesagt.
Er wußte es aber nicht und war zu klug, sich auf Vermutungen einzulassen. Vielleicht ist ihm sogar aufgegangen, daß Hugh ihm Fallen stellte. Da zog er es vor zu schweigen.
Was man nicht sagt, kann einen nicht verraten. Aber bei den Augen, die der Junge im Kopf hat, kann nicht einmal das Schweigen ihn beschützen. Dieser Junge ist durchsichtig wie Kristall.«
»Ich bin sicher«, sagte Hugh, »daß er vor Liebe zu dieser Frau ganz krank gewesen ist. Das ist die Wahrheit. Er liebte sie blind, ohne nachzudenken, seit seiner Kindheit. Wie eine Schwester oder ein Kindermädchen. Schon das bloße Mitgefühl und der Zorn, die er um ihretwillen empfand, als sie verlassen wurde, muß die Fesseln der männlichen Leidenschaft in ihm gesprengt haben. Es dürfte wahr sein, denke ich, daß sie sich damals auf ihn stützte und ihm Grund zu der Annahme gab, sie habe ihn erwählt, obwohl sie ihn in Wahrheit nur als einen Jungen sah, ein Kind, dem sie zugetan war und das ihr den Trost eines Kindes bot.«
»Stimmt es auch«, fragte der Abt, »daß sie ihm den Ring gegeben hat?«
Diesmal war es Cadfael, der sofort sagte: »Nein.«
»Ich hatte noch meine Zweifel«, sagte Radulfus sanft, »aber du sagst nein?«
»Eins hat mir immer Kopfzerbrechen bereitet«, sagte Cadfael, »nämlich wie er zu dem Ring gekommen ist. Wie Ihr Euch erinnern werdet, kam er zu Euch, Vater, um die Erlaubnis zu erbitten, sein Elternhaus zu besuchen. Er blieb mit Eurer Erlaubnis dort über Nacht und gab uns nach seiner Rückkehr zu verstehen, er habe erst während dieses Besuchs von seinem Bruder erfahren, daß man die Leiche der Frau gefunden habe und welchen verständlichen Verdacht das auf Ruald lenke. Und dann zeigte er uns den Ring und erzählte seine Geschichte, an der zu zweifeln wir damals keinen Grund hatten. Ich glaube aber, daß er schon von dem Fall erfahren hatte, bevor er zu Euch kam, um Euch um Eure Einwilligung zum Besuch seines Elternhauses zu bitten. Das war nämlich genau der Grund, weshalb sein Besuch auf Longner notwendig wurde. Er mußte nach Hause, weil sich der Ring dort befand, und er mußte ihn in die Hand bekommen, bevor er sich zur Verteidigung Rualds äußern konnte. Und zwar mit Lügen, denn es war unmöglich, die Wahrheit zu sagen. Wir können jetzt sicher sein, daß der arme Junge wußte, wer Generys begraben hatte und wo. Weshalb hätte er sonst in ein fernes Kloster flüchten sollen, so weit weg von einem Ort, an dem er es nicht länger aushaken würde?«
»Wir kommen nicht darum herum«, sagte Radulfus nachdenklich. »Er beschützt einen anderen. Einen Menschen, der ihm nahesteht und teuer ist. Seine ganze Sorge gilt seiner Familie und der Ehre seines Hauses. Kann es sein Bruder sein?«
Hugh sagte: »Nein. Eudo scheint der einzige Mensch zu sein, der aus der Sache heraus ist. Was immer auf dem Töpferacker geschehen ist, auf Eudo ist nicht einmal ein Schatten davon gefallen. Er ist glücklich und hat, von der Sorge um seine Mutter abgesehen, keinen Kummer, ist mit einer liebenswürdigen Frau verheiratet und blickt voller Hoffnung
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