Das Geheimnis der Schwestern
für mich?«
»Ich sage nichts mehr dazu. Nur, dass du auf der Stelle mit Vivi Ann reden musst. Bevor noch was Schlimmes passiert.«
»Wozu denn? Sie kriegt doch immer, was sie will.« Winona spürte, wie sich die Verbitterung wieder in ihr rührte.
»Mit solchen Gedanken vergiftest du dich. Wir sind Schwestern. «
Winona versuchte sich vorzustellen, wie sie Auroras Rat folgte. Sie überlegte sich sogar, was genau sie sagen sollte. Aber sie musste immer wieder daran denken, wie furchtbar demütigend das wäre. »Nein, danke.«
Aurora seufzte. »Jedenfalls hat sie offensichtlich noch nicht ja gesagt, sonst hätten wir es schon gehört. Vielleicht weiß Vivi Ann, dass sie dazu noch nicht bereit ist. Du weißt doch, wie romantisch sie ist. Sie will überwältigt werden. Bei ihr muss es Liebe auf den ersten Blick sein, ansonsten ist es keine Liebe. Und Luke hat sie wohl nicht vom Gegenteil überzeugt.«
Winona ließ es zu, dass wieder Hoffnung in ihr keimte. Es war nur ein winziges Licht am Ende des Tunnels, aber viel besser als die Dunkelheit, in der sie gesteckt hatte. »Ich bete, dass du recht hast.«
»Ich habe immer recht. Aber jetzt steh auf. Travis ist aus heiterem Himmel abgehauen. Wir müssen Vivi Ann helfen, das Cottage aufzuräumen.«
»Und wenn sie mir ihren Ring zeigt?«
»Du hast dich selbst in diese Lage gebracht; jetzt sieh zu, wie du da wieder rauskommst.«
»Ich zieh andere Sachen an.«
»Das wird wohl nicht reichen, Win.«
Winona ignorierte die Spitze – oder war es ein Rat? – und ging hinauf in ihr Schlafzimmer, um sich Jeans und ein ausgeleiertes Uni-Sweatshirt anzuziehen.
Kurz darauf saßen sie im Wagen und fuhren zur Ranch.
In der Küche herrschte Chaos. Auf allen Oberflächen und in der Spüle stapelte sich benutztes Geschirr. Vivi Ann kniete auf den Holzdielen und schrubbte sie sauber. Selbst mit ihren ältesten Klamotten und einem nachlässigen Pferdeschwanz sah sie immer noch umwerfend aus.
»Ah, ihr seid gekommen«, sagte sie und bedachte sie mit ihrem strahlenden Lächeln.
»Na klar. Wir sind doch eine Familie«, erwiderte Aurora mit leichter Betonung auf dem letzten Wort. Sie stieß Winona mit dem Ellbogen an, worauf diese vorwärtsstolperte.
»Tut mir leid, dass ich das Bankett verpasst habe, Vivi Ann. Ich hab gehört, es war ein toller Abend.«
Vivi Ann stand auf, zog sich die gelben Gummihandschuhe aus und warf sie neben den Eimer. »Ich hab dich schmerzlich vermisst. Es war wirklich großartig.«
Winona sah an ihrem Blick, wie verunsichert sie war, und wusste, dass sie ihr weh getan hatte. Manchmal vergaß Winona, dass Vivi Ann trotz ihrer Schönheit genauso verletzlich war wie jeder andere. »Tut mir leid«, sagte sie und meinte es auch so.
Vivi Ann nahm die Entschuldigung mit einem strahlenden Lächeln an.
»War noch was, nachdem ich gegangen bin?«, fragte Aurora.
Vivi Anns Lächeln verblasste. »Komisch, dass du fragst. Ich hab schon darüber nachgedacht, wie ich es euch beibringen soll. Luke hat mich gebeten, ihn zu heiraten.«
»Er hat mir schon erzählt, dass er das vorhat«, sagte Winona. Irgendwie schien der Satz von einer Klippe zu fallen und in tiefem Schweigen zu landen.
»Ach!« Vivi Ann runzelte die Stirn. »Dann hättest du mich doch vorwarnen können.«
»Normalerweise muss man da nicht vorgewarnt werden«, bemerkte Aurora sanft.
Vivi Ann blickte sich in dem Cottage um. »Er ist einfach perfekt für mich«, meinte sie schließlich. »Eigentlich sollte ich überglücklich sein.«
»Eigentlich?«, hakte Winona nach.
Vivi Ann lächelte, aber es wirkte gezwungen. »Ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin zu heiraten. Aber Luke sagt, er liebt mich so sehr, dass er warten will.«
»Wenn du nicht weißt, ob du bereit bist, bist du es nicht«, warf Aurora ein.
Wieder breitete sich unbehagliches Schweigen zwischen ihnen aus.
»Genau«, sagte Vivi Ann dann. »Das dachte ich mir auch. Aber jetzt lasst uns hier aufräumen.«
Winona seufzte leise und spürte, wie sich Erleichterung in ihr breitmachte. Vielleicht gab es doch noch Hoffnung.
Und sie dankte Gott dafür. Denn in letzter Zeit fragte sie sich allmählich, was sie Schreckliches tun würde, wenn Vivi Ann ihn wirklich heiratete.
Eineinhalb Wochen später saß Winona an dem großen, alten Holzschreibtisch im Arbeitszimmer ihres Vaters, von dem aus man über das glatte blaue Wasser des Hood Canals blicken konnte. Es war ein klarer Tag, daher kamen ihr die Bäume am gegenüberliegenden Ufer
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