Das Geheimnis der Schwestern
dich doch nicht mit diesem Mann betrügen. Ich wusste, wie sehr dich das verletzen würde.«
»Genau.« Er stand auf und ging zum Geländer der Veranda, als suchte er möglichst viel Abstand. Er blickte auf die Weiden.
»Es war doch nicht mein Fehler, Luke. Ich bin nicht fremdgegangen. Ich hab dich weder betrogen noch dir das Herz gebrochen. Das war sie. Es war doch klar, dass sie erwischt wird. Ich versuche nur, dir zu helfen. Sieh mich an, Luke.«
Er drehte sich nicht um. »Geh einfach, Winona. Ich kann jetzt nicht mit dir reden.«
Sie wusste nicht, was sie tun sollte, so unbegreiflich war ihr seine Reaktion. »Aber –«
»Geh. Bitte.«
Bitte – das war es, was sie zur Vernunft brachte. Sie war zu früh gekommen, daran lag es. Natürlich war er noch nicht bereit, sich von ihr trösten zu lassen. Aber irgendwann würde er bereit sein. Die Zeit heilte alle Wunden. Sie musste nur Geduld haben. »Ist gut. Aber ich bin immer für dich da. Ruf mich einfach an, wenn du einen Freund brauchst.«
»Einen Freund«, wiederholte er mit seltsamem Unterton.
Sie war schon auf halbem Weg zur Tür, da hielt er sie auf.
»War sie bei der Parade?«
»Nein«, sagte sie bitter und sah ihn über die Schulter hinweg an. »Dazu war sie zu feige.«
»Ach ja? Glaubst du wirklich?« Er seufzte. »Du hättest es mir nicht sagen sollen.«
»Es hat mir das Herz gebrochen«, flüsterte sie, »als ich sie zusammen im Bett sah. Ich wusste, wie weh dir das tun würde.«
»Ich liebe sie.«
»Du hast sie geliebt«, korrigierte sie und griff nach dem Türknauf. »Dabei hast du sie noch nicht mal wirklich gekannt.«
Vivi Ann und Dallas heirateten im Mason County Courthouse, und die einzigen Zeugen waren der Friedensrichter und sein Gehilfe. Nach der Trauung stiegen sie in den Truck und stellten das Radio an. Der erste Song, der durch die Lautsprecher dröhnte, war »My Heroes Have Always Been Cowboys« von Willie Nelson. Vivi Ann musste lachen und dachte: Das wird unser Song sein.
Auf der Fahrt zum Olympic-Rainforest-Nationalpark redeten sie die ganze Zeit. Dann wurde es dunkel, und die Straße schlängelte sich immer tiefer in den uralten Wald, bis sie endlich die Sol Duc Lodge erreicht hatten, wo sie sich ein Cottage mieteten.
»Ich schätze, wir sind ein Cottagepaar«, sagte Dallas, als er sie über die Schwelle in das nach Harz duftende Innere trug. Die nächsten vier Tage verbrachten sie im Bett. Sie liebten sich, sie lagen nebeneinander, sie unterhielten sich. Vivi Ann erzählte Dallas alles, was es über sie zu wissen gab: wann und mit wem sie ihre Unschuld verloren hatte, wie es war, als ihre Mutter starb, warum sie Oyster Shores so sehr liebte und sogar, was sie gern aß und was nicht. Je länger sie sich unterhielten, desto öfter lachte er, und so wurde das Bedürfnis, ihn zum Lachen zu bringen, eine neue Sucht von ihr.
Am fünften Tag wanderten sie über den wunderbaren Panoramaweg zum berühmten Sol-Duc-Wasserfall. Dort, mutterseelenallein, umgeben nur von uralten, wild gewachsenen Bäumen, dem Donnern des Wasserfalls und der nebelfeuchten Luft, liebten sie sich auf einer kleinen Lichtung am Fuße einer zweihundert Jahre alten Zeder.
»Weißt du, ich hab dich durchschaut«, sagte sie danach. Sie saßen mit dem Rücken an den moosbewachsenen Stamm der Zeder gelehnt.
Er holte ein Taschenmesser hervor und begann, müßig ein Herz in die gefurchte Rinde zu schnitzen. »Ach wirklich?«
»Ich habe dir alles über mich erzählt. Aber von dir weiß ich gar nichts. Jedes Mal wenn ich dich etwas frage, küsst du mich.«
»Und das ist auch das Wichtigste.« Er schnitzte seine Initialen in die Rinde und fing dann mit ihren an.
»Aber nein. Wir sind jetzt verheiratet. Ich muss doch Fragen über dich beantworten können.«
»Haben wir uns in einer Pärchenshow angemeldet?«
»Das ist kein Witz. Ich meine es ernst.«
Er schnitzte ihre Initialen zu Ende, legte sein Messer weg und sah sie endlich an. »Wenn du jemanden an einer Klippe sähst und den Eindruck hättest, er würde gleich springen: Was würdest du dann sagen?«
»Dass er zurücktreten soll, bevor noch was Schlimmes passiert.«
»Dann tritt zurück, Vivi.«
»Wieso kann es mir schaden, dich zu kennen?«
»Vielleicht gefällt dir nicht, was du erfährst.«
»Du musst mir vertrauen, Dallas, sonst funktioniert das nicht mit uns.«
»Ist gut«, war er nach langem Schweigen einverstanden. »Stell deine Fragen.«
»Wo wurdest du geboren?«
»Oh Wunder: in Dallas,
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