Das Geheimnis der Schwestern
gibt es nur einen Tag frei.«
»Es ist kein Trick.«
Sie küsste ihn, allen Bakterien und Viren zum Trotz. »Ich liebe dich, Dal.«
»Ich liebe dich auch.«
Sie griff nach Noah und nahm ihn auf den Arm. Dann ging sie mit ihm in sein Zimmer, wechselte die Windel und zog ihm ein rot-grün kariertes Flanellhemd, eine Latzhose und seinen Mantel an. Am Ende ging sie noch mal zu Dallas, legte ihm einen feuchten Waschlappen auf die Stirn und küsste ihn zum Abschied.
Am folgenden Tag wachte Vivi Ann im Morgengrauen auf.
Sie rollte sich zu ihrem Mann und betrachtete ihn. Früher hatte sie nicht gewusst, dass man im Gesicht eines anderen eine ganze Welt sehen konnte, dass Furchen wie Täler, Lippen wie Gebirgszüge wirken konnten, die es zu erkunden galt.
Sie rückte näher zu ihm und presste sich wie schon viele Male zuvor an ihn. »Frohe Weihnachten«, flüsterte sie, dicht an seinem Mund.
»Frohe Weihnachten.« Seine Stimme war tief und rau, als hätte er die ganze Nacht geschrien oder Zigarren geraucht.
»Wie geht’s dir?«
»Besser.«
Sie blieben noch eine Weile so liegen, dann küsste Vivi Ann ihn ein letztes Mal und stand auf. Und von diesem Moment an waren beide fast ununterbrochen in Bewegung. Sie duschten sich und zogen sich an. Während Vivi Ann ihren Sohn für das große Familienfest im Farmhaus fertigmachte, fütterte Dallas die Tiere und prüfte das Wasser auf den Weiden. Als er zurückkam, war es bereits helllichter Tag, und das Licht spiegelte sich in den Tropfen und Pfützen vom Regen am Abend zuvor und überzog alles mit einem silbrigen Glitzern.
Vivi Ann packte das Essen und die Geschenke in den Wagen.
»Ach, ich hab noch was vergessen«, sagte Dallas, als sie das Cottage verlassen wollten. »Warte mal kurz.« Er ging ins Schlafzimmer und kam kurz darauf mit einer großen Schachtel in rosafarbenem Geschenkpapier zurück. Sie sah, dass er es selbst eingepackt hatte – an der ungeschickten und großzügigen Verwendung des Klebebands. Außerdem hing die weiße Folienschleife nur an einem dünnen Streifen.
»Du weißt doch, dass wir die Geschenke erst bei Dad auspacken. Leg’s in den Wagen.«
»Nein, das nicht.«
Sie lachte. »Was ist es denn? Dessous zum Aufessen? Oder ein Negligé, das nicht mal meine Brustwarzen bedeckt?«
»Mach’s auf.«
Als sie merkte, wie er sie ansah, lief ihr ein kleiner Schauer über den Rücken. Sie nahm das Geschenk von ihm und trug es zum Sofa. Er hob Noah hoch und setzte sich mit ihm neben sie.
Dieser Anblick, wie er seinen Sohn hielt, der ihm so ähnlich sah, war ihr eigentlich schon Geschenk genug. Mehr hatte sie nie erhofft, mehr würde sie sich nicht wünschen. Trotzdem packte sie eifrig das Geschenk aus und fand, als sie die Schachtel öffnete, eine weitere, kleinere darin, und als sie diese öffnete, noch eine kleinere. Als sie endlich die kleinste Schachtel in Händen hielt, war sie sich ziemlich sicher, was sie darin finden würde, und ihr Herz klopfte schneller.
Sie sah ihn an, bemerkte, wie durchdringend er sie anblickte, und öffnete die Schachtel.
Darin lag ein wunderschöner Diamantring. Der Stein war zwar klein, aber makellos und in einen filigranen, antik wirkenden Goldring gefasst.
»Tut mir leid, dass ich mir keinen leisten konnte, als wir geheiratet haben.« Er nahm den Ring heraus und streifte ihn ihr über den Finger bis zu dem schlichten Goldreif, den sie seit ihrer Hochzeit drei Jahre zuvor trug.
Sie sah ihm unverwandt in die Augen. »Ich habe nie einen Diamantring gebraucht.«
»Ich wollte dir aber einen schenken.«
»Er ist perfekt.«
Hand in Hand gingen sie zum Wagen und fuhren zum Farmhaus.
Vivi Ann blieb vor dem Haus stehen und betrachtete es. Weiße Lichterketten schmückten das Dachgesims und das Geländer der Veranda. Der Lichterschmuck am Weihnachtsbaum warf durch das Vorderfenster bunte Prismen.
Drinnen hatte die Feier bereits begonnen. Die übliche Weihnachtsplatte – auf Wiederholung gestellt – untermalte sie mit Musik. Ricky und Janie rannten herum und spielten Verstecken mit ihrem Dad, während Aurora und Winona in der Küche werkelten. Ihr Dad saß am Kamin, trank bereits Bourbon und starrte auf ein Foto von ihrer Mom.
Aurora öffnete ihnen. Mit ihren grünen Leggins, den hochhackigen Stiefeletten und einer roten Tunika sah sie aus wie eine Elfe; um den Hals trug sie eine bunte Lichterkette, die in Intervallen an- und ausging. »Da ist ja mein Prachtjunge«, sagte sie, nahm Noah auf den Arm und trug ihn
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