Das Geheimnis der sieben Palmen
sichtlich weiß. »Ratten?«
»Ganz zahme Tiere. Sie haben noch nie einen Menschen gesehen, bis ich kam. Warum sollten sie mir was tun wollen? Übrigens leben sie vornehmlich auf der anderen Inselseite, dort, wo die Drusenköpfe und Leguane wohnen. Vor meinen Kühen und Schweinen haben sie Respekt.« Er blickte auf ihre Kosmetiktasche. »Welches Parfüm benutzen Sie?«
»La Pirate.«
»Aha! Immer der Zeit voraus!«
»Ich bin ein Sturmopfer, Mr. Hassler, und keine Abenteuerin! Verstehen wir uns klar?« Ihre Stimme hatte sich gehoben und klang viel heller.
»Glasklar. Trotzdem wäre es jetzt richtiger, in mein Haus zu gehen und ein Süßwasserbad zu nehmen. Während Sie herumplanschen, funke ich nach Baltra. Man soll einen Hubschrauber schicken und Sie abholen. Vielleicht kommt auch der charmante Don Fernando. Kein Playboy, Miß Evelyn, sondern Kommandant eines Kanonenbootes. Aber er sieht phantastisch aus. Altes spanisches Konquistadorenblut.«
»Sie sind ein Ekel, Mr. Hassler!«
»Ich weiß es.« Er faßte sie am rechten Arm. »Gehen wir. Der Weg hinauf ist noch mühsam. Meine Straßenbaukolonne kommt erst im Jahr 2005. Es ist eine Autobahn geplant von hier bis …«
»Idiot!« Sie klemmte die Kosmetiktasche unter den Arm und ging zielsicher auf den länglichen Lavarücken zu, der vor Millionen Jahren im Meer erstarrt war. Sie nahm denselben Weg, den Hassler immer hinunter zur Bucht ging.
Er sah Evelyn nach und wunderte sich über ihren Instinkt. Jede andere Frau hätte gefragt: Wie kommen wir auf den Felsen? Sie nicht. Sie fand den Aufstieg mit der Sicherheit einer Gemse.
Sie muß weg von der Insel, dachte Hassler, als er ihr nachging. Ich funke sofort! Wenn sie länger als achtundvierzig Stunden bleibt, bin ich verloren. Ich kenne mich. Neben einer solchen Frau kann man nicht sitzen, vom Wetter reden und überm offenen Feuer Fische braten! Eine solche Frau ist eine Herausforderung für jeden Mann.
Er lief ihr nach, holte sie kurz vor dem Einstieg in die Lavafelsen ein und blieb an ihrer Seite. Sie schwiegen den ganzen Weg über, aber als sie auf der Höhe waren, in der Nähe der sieben Palmen, ging Hassler einen Schritt voraus und blieb dann vor der Terrasse seiner Wohnhöhle stehen. Ziegengemecker und das Quieken von Schweinen, die in einem Pferch ihre Schwarten an den Holzlatten rieben, empfingen sie. Der neuangelegte Gemüsegarten mit den kleinen Pflänzchen sah geradezu rührend aus: Leben, dem verwitterten Boden, der einmal feuerflüssig gewesen war, abgerungen.
Evelyn Ball atmete ein paarmal tief ein, ging dann zu der rohen Holzbank und setzte sich. Der Blick von hier über einen Teil der Insel und hinunter auf die Bucht, die drei Felsbarrieren und über die Unendlichkeit des Meeres war überwältigend. Überwältigend war aber auch die völlige Einsamkeit.
»Wie lange wollen Sie das durchhalten?« fragte sie.
»Bis zum Ende.«
»Und hier begraben werden?«
»Das ist mir wurscht.« Er lachte rauh. »Ich werde verdorren.«
»Sie waren Industrieller, sagen Sie?«
»Eine Menge Seidenfabriken, Konfektion, Mode.«
»Unglaublich.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde hier verrückt.«
»Wer Liebhaber gewöhnt ist …«
»Wo ist Ihr berühmtes Süßwasserbad!« schrie sie plötzlich unbeherrscht. Sie sprang auf, ihre grüngrauen Augen waren vor Wut wieder dunkel, ins Braune schillernd.
»Ich kann Ihnen nur einen selbstgefertigten Trog anbieten, eine Badewanne aus dem Felsen gehauen. Das war eine Arbeit! Die Ausbuchtung war schon da, vom Wasser ausgewaschen, aber ich mußte sie verbreitern. Dafür haben Sie fließendes Wasser: Eine kleine Quelle tritt aus dem Felsen und rauscht als winziger Wasserfall in das Becken. Eine Naturdusche!« Er zeigte irgendwohin in die Felsenlandschaft, eine bizarre Gegend wie auf dem Mond. »Später stelle ich Ihnen dann meine wilden Kühe vor. Ich habe ihnen die Namen von meinen Tanten gegeben. Wenn ich zum Beispiel ›Alma‹ rufe, fällt mir meine ganze Kindheit ein. Dann ist es nicht mehr so einsam um mich …«
Er brachte sie bis zur Quelle, und es war wirklich eine Naturbrause mit einem glatten Duschbecken. Über einen halbierten Baumstamm konnte man das Wasser, wenn man es brauchte, ableiten in die mitgebrachten Plastiktonnen. Notvorrat bei Trockenperioden.
»Ich bringe Ihnen noch Seife und Handtuch«, sagte Phil. »Wie gefällt Ihnen mein Badezimmer?«
»Wenn keine Ratten kommen …«, sagte sie wie ein ängstliches Kind.
»Garantiert nicht.«
Er
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