Das Geheimnis der sieben Palmen
Keuchen war schon von weitem zu hören. Er bewies wieder einmal, daß er wirklich die Stärke eines Mammuts besaß: Auf beiden Schultern schleppte er prallgefüllte Säcke heran. Jeder, der weiß, was Gold wiegt, konnte schätzen, wieviel Kilo Sempa jetzt auf seinen Schultern trug. Vorsichtig ließ er die Säcke auf den Lavaboden gleiten. Dann mußte er sich doch an die Felswand lehnen. Seine Beine begannen zu zittern, die Oberschenkelmuskeln verkrampften sich, die Schulterhaut war tiefrot gefärbt, als überziehe den Rücken ein Bluterguß.
Phil betrachtete Sempa ein paar Sekunden voll ehrlicher Bewunderung. Ja, er empfand, während Evelyn mit haßerfülltem Blick am Tisch sitzenblieb, plötzlich Mitleid mit Sempa. Er stand auf und brachte ihm sein Glas Rotwein. Ari riß es ihm aus der Hand und stürzte den Wein hinunter.
»Danke, Phil«, keuchte er. »Aber Sie sind trotz allem ein Saukerl! Geben Sie mir noch einen. Die ganze Flasche!«
»Sie bringen sich noch um, Ari.«
»Geht's um Ihr Leben, he?«
»Gib ihm die ganze Kiste, damit er platzt!« sagte Evelyn laut. »Darauf warten wir doch bloß!«
»Ist das ein Herzchen, was?« Sempa schüttelte den Schweiß von sich wie ein nasser Hund. »Ich habe Sie von Anfang an gewarnt, Phil! Machen Sie sie bloß im Bett nicht wütend. Die schneidet Ihnen glatt die Kehle durch!«
Phil Hassler holte die noch halbvolle Bordeauxflasche vom Tisch und warf sie Sempa zu. Der fing sie auf, setzte sie an den Mund und soff sie, ohne abzusetzen, leer.
»Nochmals danke!« sagte er darauf mit etwas menschlicherer Stimme. »Phil, ehrlich – Sie wären ein fabelhafter Kamerad, wenn Sie nicht so durch und durch ein sturer Deutscher wären! Warum tragen Sie eigentlich kein Monokel? In amerikanischen Filmen werden Deutsche Ihres Kalibers immer mit Monokel dargestellt. Diese Burschen stelzen in knarrenden Schaftstiefeln herum und fressen ständig Eisbein mit Sauerkraut. Vom Zusehen wird einem schon übel! Das alles, Phil, steckt auch in Ihnen, nur unsichtbar, überdeckt durch persönliche Nuancen. Aber ein Kamerad sind Sie trotzdem! Ein Idiot mit Herz!«
Er blieb an den Felsen gelehnt stehen, wischte sich den Schweiß mit beiden Händen aus dem Gesicht und blickte über das abendliche Meer. Die Sonne ging als apfelsinenfarbener Ball unter. Die Wellen schimmerten violett, der Gischt an den Barrieren schäumte blutrot, und die Lavaformationen der ›Sieben Palmen‹ bildeten eine Farbpalette vom tiefen Schwarz über Ziegelrot und gebrochenes Gelb bis zu einem satten, leuchtenden Grün, das von bläulichen Adern durchzogen war.
»Kann ich noch baden?« fragte Sempa plötzlich. Er sagte es wie ein Kind, das um ein Bonbon bettelt.
»Warum nicht?«
»Das Essen!« Sempa winkte zum Tisch. »Erstens geht jede Hausfrau in die Luft, wenn ihr Essen kalt wird, und zweitens verabscheue ich kalten Fraß.«
»Ich brate deine Kartoffeln noch einmal auf«, sagte Evelyn, aber ohne sich zu rühren.
»Phil, sie ist doch ein Schatz!« schrie Sempa. »Ein Teufelchen, mit dem man tanzen kann! Wenn man sie so reden hört, rutscht einem die Hose von selbst herunter!«
»Statt Salz streue ich dir Rattengift über die Kartoffeln!« zischte sie.
»Und genau das fehlt uns!« Sempa lachte dröhnend. Er stieß sich von der Felswand ab und tappte hinüber zu dem kleinen Wasserfall, den Phil Hassler mit Steinen und Holzstücken etwas reguliert hatte. Er nannte ihn ›meine Dusche‹. Dort warf Sempa die Kleidung ab und sprang, wie ein Ferkel quietschend, unter dem niederprasselnden kalten Wasser hin und her. Nackt rannte er dann auf dem Plateau herum, ohne sich um Evelyn zu kümmern, die mit den aufgewärmten Kartoffeln wieder zum Tisch zurückgekommen war, umkreiste im Dauerlauf viermal die sieben Palmen, hüpfte ein paarmal in die Luft und tanzte durch die wieder aufgestellten göttlichen Kegelfiguren.
Wie ein Urmensch, der soeben die Gymnastik erfunden hat, trabte er zur Wohnhöhle zurück und hockte sich, ohne Scham vor seiner Nacktheit, auf die Tischkante zwischen Phil und Evelyn und angelte nach einem Stück des eigens für ihn gewärmten Zickelbratens. Evelyn erhob sich stumm und ging in die Höhle zurück. Sempa grunzte.
»Sie sehen, Phil, Ihr Weibchen wird bei meinem Anblick unruhig. Ich bin topfit!« Er kaute genußvoll und schlürfte ein Stück Ananas hinunter. »Ich weiß, ich weiß, in Ihren Augen bin ich eine Erzsau! Aber eine Frau wie Evelyn mit zwei Männern unseres Schlages allein auf einer
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