Das Geheimnis der sieben Palmen
den Tisch gedeckt und saß jetzt in der Höhle vor dem offenen Herdfeuer und briet in einer großen Gußeisenpfanne, die zu Phils Grundausstattung gehörte, rundgeschälte Kartoffeln. Sempa hatte sie in Dosen mitgebracht.
»Ich habe alles gehört; er kann ja meilenweit brüllen«, sagte sie und wendete mit einem großen Holzlöffel die Kartoffeln in der Pfanne. »Ich schwöre dir, Phil: Ich töte ihn, wenn er mich anfaßt. Und ich töte ihn, wenn er dir etwas tut! Ich weiß nicht, wie das ist, wenn man mit eigener Hand einen Menschen tötet – aber ich würde in diesem Augenblick kein Gewissen mehr haben. Ich glaube, ich würde nichts empfinden. Gar nichts! Ich würde mir denken, dieses Monstrum darf nicht weiterleben!« Sie sah ihn mit weiten Augen an. Ihr Gesicht war vom Feuer auf dem Herd überglüht. »Ist das grausam, so etwas zu sagen?«
»Ari muß weg von der Insel, Eve, das ist klar!« Hassler setzte sich neben den Herd auf die gemauerte Bank. Das Feuer zuckte über sein Gesicht; er schien gealtert. Die Erkenntnis, daß es auf dieser Erde keine Paradiese mehr gibt, sobald nur drei Menschen zusammenkommen, schien in wenigen Tagen neue Zeichen in seine Haut gegraben zu haben.
Und was sollte er auf Evelyns Frage erwidern? Er sah, daß sie ihn anstarrte und auf eine Antwort wartete.
Galten hier, auf den ›Sieben Palmen‹, andere Gesetze? Waren die Zehn Gebote hier nicht mehr gültig? Durfte man hier einen Menschen töten und dann wohlgefällig sagen: Das war gut so? Mein Gott, wohin sind wir gekommen! »Du sagst gar nichts?« Evelyns Stimme war klein, kindlich, fast weinerlich.
»Du hast recht!« sagte er heiser. Aber er hatte das Gefühl, einer klaren Antwort ausgewichen zu sein. Um seine Unsicherheit zu überspielen, zerbrach er einige von den gesammelten trockenen Ästen, so daß sie in die Herdmulde paßten. »Ich verstehe dich sehr gut, Eve«, sagte er leise.
»Wir sollten uns lieben, Phil …«
»Das tun wir doch, Eve.«
»Nicht so! Wir sollten uns immer lieben, jede Stunde, die wir allein sind, jede Minute, jeden Augenblick, der uns gehört. Wer weiß, ob im nächsten Moment nicht alles vorbei ist, und Sempa uns wie zwei Fliegen an der Wand zerquetscht! Wir sollten uns immer, immer lieben. Jede Sekunde ist uns doch nur geschenkt!« Sie kam zu ihm, kauerte sich vor Phil auf den Höhlenboden und legte ihren Kopf in seinen Schoß. Sie rieb ihr Gesicht zwischen seinen Schenkeln, bis er spürte, wie es in ihm unruhig wurde.
»Laß das!« sagte er rauh. »Eve, das ist doch Wahnsinn. Hier vor dem Herd …«
»Alles um uns herum ist Wahnsinn!«
»Und wenn Ari zurückkommt und sieht uns so?«
»Das gönne ich ihm!«
»Er wird uns erschlagen.«
»Wäre das ein Tod!« Sie umfaßte seine Schenkel und drückte ihr Gesicht in seinen Schoß. »In den Himmel fliegen, mit dir …«
»Mit dir noch Jahrzehnte zu leben, wäre besser.« Er nahm ihren Kopf mit beiden Händen, küßte ihre Lippen und die geschlossenen Augen und stand auf. Er wendete noch einmal die Kartoffeln und wühlte dann in den von Sempa heraufgeschleppten Kisten und Kartons.
»Fehlt etwas?« fragte Evelyn. Sie lehnte an der Felswand und knöpfte das Hemd wieder zu, das bis zur Hüfte aufgerissen war.
»Ich suche die Ananasdosen für das Zickelfleisch.«
»Sie stehen bereits geöffnet auf dem Tisch.«
»Ach so.«
»Ist das alles?« fragte sie.
»Was alles?«
»Ich habe Angst!«
»Vor Sempa?«
»Vor uns! Du hast Hemmungen, weil Ari uns überraschen könnte.«
»Ich habe noch nie auf einem Präsentierteller geliebt.«
»Das war gemein!« sagte sie ganz leise. »Ich bin keine Hure. Ich liebe dich bloß.«
»Es ist alles ausweglos!« Phil nahm die schwere Eisenpfanne vom offenen Feuer. »Wir lieben uns, finden unsere kleine Welt – allein mit uns beiden – vollkommen … und dann kommt ein Fossil wie Sempa, und wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Mit ihm zusammenleben, ist die Hölle. Er wird von Tag zu Tag verrückter werden – aber ist das ein Grund, ihn umzubringen? Und doch sagt man sich immer wieder: Tu's doch endlich! Läßt du eine Ratte leben? Nein, du erschlägst sie, vergiftest, ersäufst sie … und hast nicht die geringsten Gewissensbisse. – Aber Ari ist, trotz allem, ein Mensch! Ein Mensch!«
»Und wenn er mich überfällt, wie er's angedroht hat?!«
»Er wird es nie tun! Er redet nur, redet, weil er sich selbst damit besoffen machen will! Eve, er ist ein Klotz aus Muskeln und Knochen, aber wir werden ihn
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