Das Geheimnis der Sonnensteine: Roman (Sonnenstein-Trilogie) (German Edition)
Bresche in das kristalline Gewirr zu schlagen. Auf dem Boden vor der Unfallstelle glitzern Hunderte von stahlblauen Fünkchen. Elmer stößt einen leisen Pfiff aus. Da liegen sie ja herum, man braucht sie nur aufzuheben! Vor den einzelnen Kristallen furchtet er sich nicht. Der abgetrennte Kopf eines Untieres kann vielleicht noch ein letztes Mal zuschnappen, nicht aber eine einzelne Körperzelle, sagt er sich ruhig und geht auf das Glitzern und Funkeln zu.
Die meisten der unregelmäßig geformten Splitter sind zu runden, matten Kügelchen geschmolzen, einige hängen noch als erstarrte Tropfen im Geäst des Kristallgewächses, Nur wenige sind noch unversehrt. Elmer fällt es auf, daß die unbeschädigten Kristalle auf bestimmte Stellen konzentriert sind, als habe sie schon jemand vorsortiert. Sie liegen dichter beieinander als die regellos über den schlackigen Boden verstreuten blaßblauen Tröpfchen der geschmolzenen Steinchen. Als er einen Kristall aufnimmt, spürt er eine winzige Bewegung. Unscheinbar und kaum sichtbar war sie, aber es hat sich zweifellos etwas gerührt!
Elmer erstarrt, und klebriger Schweiß tritt auf seine Stirn. Was hat Quattro vorhin gesagt? Sie sind überall…, wir gehen mitten hindurch…, worauf warten sie nur…
Vielleicht beobachten sie uns, denkt Elmer. Ängstlich läßt er den glitzernden Kristall wieder fallen. Er klirrt zu Boden, Unsinn, weist er sich zurecht und holt tief Luft. Selbst wenn Quattro wirklich einen siebenten Sinn für diese Teufelsbrut hat und wenn sie hier zu Hunderten oder Tausenden sitzen und mich beobachten, ich nehme jetzt diesen Kristall! befiehlt er sich.
Diesmal beobachtet Elmer argwöhnisch seine Umgebung. Und da, ganz genau hat er es gesehen: Als er den Kristall aufnahm, rückten zwei, drei andere ein Stückchen nach, vielleicht einen Fingerbreit, als wären sie magnetisch. Verblüfft und mißtrauisch mustert Elmer den Kristall zwischen der Zange seines Manipulators. Dann probiert er es kurz entschlossen mit einem zweiten. Dasselbe Ergebnis! Wieder rutschen einige Kristalle ein winziges Stückchen über den blasigen, schlackigen Boden.
Plötzlich kriecht wieder die Angst in ihm hoch. Er zwingt sich zur Ruhe und ruft die immer noch ratlos beieinander stehenden RS-Leute. Diese Entdeckung darf er nicht verschweigen, selbst wenn es ihm dadurch nicht gelingen sollte, einen Kristall mitzunehmen! Ein bißchen wünscht er sich sogar, daß sie ihm das blaufunkelnde Splitterchen sofort wegnehmen.
„Interessant“, sagt ein Mann mit gelben Streifen auf dem Thyon, die ihn als Proximer ausweisen, als Elmer seine Entdeckung vorführt. „Bekker, bringen sie doch mal den Holographen, das nehmen wir gleich auf!“ Ein Protektor schleppt die Ausrüstung herbei. Elmer beobachtet noch eine Weile, wie die Männer mit wachsender Begeisterung Kristalle aufnehmen und wieder fallen lassen, dabei Wetten abschließen, welche anderen sich bewegen werden. Sie vertiefen sich in dieses Spiel wie Kinder. Elmer steht etwas abseits, unbeobachtet und außerhalb dieser Gruppe.
So schnell kann man sich an die seltsamsten Situationen gewöhnen und den Schreck vergessen, denkt er. Früher fertigten Soldaten aus Geschoßhülsen, deren Kugeln anderen die Gedärme zerfetzt hatten, Feuerzeuge oder Briefbeschwerer an, heute spielen erfahrene und hochqualifizierte Sicherheitsleute mit Kristallen, die ihre ärgsten Feinde zu einem Zweck erschaffen haben, der uns noch unbekannt ist. Dagegen wirkt es wie eine Lappalie, daß die Piloten der Evakuierungsflotten während der wenigen Stunden, die gebraucht wurden, um die Passagiere sicher unterzubringen, in aller Seelenruhe Karten spielten oder – wie es im Geschwader neunzehn geschah – einen selbstgebastelten Heißluftballon mit einer Flaschenpost aufsteigen ließen. Damals war Elmer über die Gleichgültigkeit und Menschenverachtung entsetzt. Inzwischen weiß er, daß es gut ist, wenn die Leute sich ablenken und sich nicht andauernd das Ungewisse Schicksal vor Augen halten, das sie alle erwartet.
Als er die Männer so arglos und unbefangen mit den Steinchen hantieren sieht, schämt sich Elmer seiner Ängstlichkeit. Quattro soll seinen Kristall haben. Er gibt sich einen Ruck und steckt den Splitter in die Oberschenkeltasche seines Thyons. Zu gern würde er wissen, was der Kosmander damit vorhat. Aber um das herauszufinden, muß er ihm den Stein bringen. Irgendwie wird Elmer das Gefühl nicht los, daß auch Quattro mehr über die Ergophagen weiß,
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