Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
entgegenstellen dürfen. Er ist eine Macht geworden, mit der wir zu rechnen haben, und er konnte diese Machtstellung nur dadurch erringen, daß er nicht bloß verbot und einschränkte, sondern auch bereicherte.
Traten ehedem offen oder versteckt Strebungen hervor, die auf Strafparagraphen abzielten und die freien Schriftsteller früher oder später unter Staatsaufsicht und Kuratel gestellt hätten, so hat sich allmählich ein freies Spiel der Kräfte mit vielfach ersprießlichen Ergebnissen entwickelt. Diese hat ihre Bedeutung für die Gegenwart, für weitere Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, denen es obliegt, die Nationalkultur des Deutschen zu vollenden. In der sehr fernen Zukunft unsrer Sprache, deren Feld die Welt sein wird, müssen Kräfte zum Ausdruck kommen, die von Vereins wegen nicht zu berechnen sind und außerhalb aller Satzungen wirken. Aber bis zur Morgendämmerung dieser fernen Zukunft, im Gehege des Einstweiligen, mag noch viel vereinsrührige, gärtnerische Arbeit notwendig sein, in Beseitigung von Unkraut und in Züchtung sprachlicher Blumen. Das Feld dieser Arbeit ist nicht die Welt, sondern die Heimat, und es reicht bis zu den Abhängen des deutschen Parnaß; nicht in dessen Schroffen oder gar bis zur Bergspitze. Die Wenigen, die mit ihrer Kunst- und Wissenschaftssprache den Gipfel erreichen wollen, finden ihn ohne Vereinshilfe, brauchen keinen Führer und sind schon dankbar, wenn ihnen auf dem Wege durch Verordnungen und Bevormundungen keine Stacheldrähte gespannt werden. Der Vorkämpfer mag noch so oft versichern, daß derartige Maßnahmen ihm fernlägen, – das Werkzeug in seinen Händen deutet auf Zwang; seine Schriften sind stacheldrähtig und harren nur der Gelegenheit, um den freien Könnern beim Vorwärtsschreiten ins Fleisch zu stechen.
Die mit stetig erhöhter Umsicht verwaltete Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins legt es nicht mehr darauf an, die Mommsen und Heyse von heute in Notwehr zu drängen. Sie hält Abstand; sie untersucht, vergleicht, erörtert, stellt zahlreiche interessante Angelegenheiten zur öffentlichen Aussprache, erledigt nicht alles mit Ja und Nein und gebärdet sich nicht als letzte Instanz. Der Vorkämpfer entscheidet, unfehlbar, rechtsgültig und mit rückwirkender Kraft. Als Rex tremendae majestatis schreitet er einher, mit Sprühfeuer im Blick, vor dem der freie Schriftsteller zusammensinken soll mit dem bangen Ruf: »quid sum miser tunc dicturus?« Jeder Tag ein dies irae!
Trösten wir uns damit, daß wir in dem Strudel der Verdammten gute Gesellschaft antreffen werden, die beste, die wir uns wünschen können: die Ritterschaft der Ganzgroßen sitzt dort fast vollzählig. Das Schmoren in der Hölle der Auserwählten mag immer noch erträglicher sein, als das ewige Psalmensingen im Paradies der Sprachheiligen. Und vielleicht erleben wir dort noch, daß unser Angelicus selbst eines Tages hereinspaziert kommt, um die fürtreffliche Gesellschaft der Edelsünder zu vervollständigen.
Denn über jeden Ultra kommt immer noch ein Über-Ultra, und kein Großinquisitor ist vor dem Größtinquisitor sicher. Der mag sich zum stürmischen Engel etwa verhalten, wie dieser zu dem besonnenen und wundermilden Weisen Sarrazin. Dieser, noch nicht vorhandene, Größtinquisitor wird da einsetzen, wo Engel aufgehört hat und zunächst einmal diesen selbst der Welscherei überführen.
Was wir ihm heut als Vorzug anrechnen, wird dann Todfrevel geworden sein. Engel schreibt tatsächlich: Konfusion, Stilasthmatiker, Rhythmus, Phrase, Zitätlein, Tragödie, Parabel, Humor, Ironie, Rebus, stilistisch, Genie, preziös hin und preziös her, er wirkte für »Zonentarif«, er schuf sogar zur Kennzeichnung des Bahnbürokraten das welschlateinische Neuwort »rabies complicatoria«, er hat auf den Titeln seiner Werke »Literatur«, »Stil« stehen lassen –, fort mit diesen Lehnwörtern, fort mit ihren Verwendern, wir müssen den Engel überwinden; er ist uns nicht völkisch genug –, so wird der Größtinquisitor urteilen.
Quid est miser tunc dicturus, was wird er sagen, wenn der Schärfere über den Scharfen kommt? O, ich wüßte für ihn eine glänzende Verteidigungsrede, er braucht nur zu wiederholen, was ein großer Kampfmeister unserer Tage ausgesprochen hat:
»Um Himmelswillen keine bloße Schulmeisterei in Fragen der Sprache und des Stils! ... Gemeinsam ist allen Sprachmeistern die Blindheit gegen das ewig fließende, ewig sich wandelnde Leben der Sprache im
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