Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
nicht durch 15 000 Artikel in Weißglut des Zornes verharren. Und in Pausen der Abkühlung verschwindet der Berserker, um den Künstler ans Werk zu lassen.
Ich kann und mag nicht untersuchen, ob nachstehende Wortbildungen sämtlich auf seine Rechnung kommen. Viele gehören ihm sicherlich, und wäre es auch nur ein einziges, so würde das genügen, um uns zu einem Preislied für seine Erfindung zu stimmen. Denn es gibt nichts selteneres als ein neues, brauchbares, wohlgeformtes Wort. Es stellt einen Gewinn der Sprache dar, so zu verstehen, daß wir uns des Zuwachses freuen, ohne auf den Altbesitz zu verzichten. Auf die Mehrung kommt es an, nicht auf die Beseitigung. Als Bereicherung seien genannt: bei differenzieren: feingliedern; bei Induktion: Stufenbeweis; bei aktuell: zeitwirksam; bei Panik: Schreckflucht; bei Frondeur: Stürzer; bei Boudoir: das Trautzimmer, die Lausche; bei appetitlich: mundwässernd; bei korrekt: fadengrade; bei Emanzipation: Entjochung; bei fraternisieren: brüderschafteln; bei arrogant: dünkelfrech; bei ironisch: hohnwitzig; bei Facette: Schliffraute; bei hygroskopisch: feuchtempfänglich; bei Falsifikat: das Gefälsch; bei Phantasie: Innenschöpfung; bei Futurist: Zukunftspinsler; bei Feminismus: Weibserei; bei Schikane: Argwille; bei Esprit: Sprühgeist; bei Tautologie: Wortgedoppel; und wenn Engel für Sauce Soubise vorschlägt: Roßbach-Soße, so können wir gleich in Nutzanwendung jener Neuworte den Ersatz als Erzeugnis eines »hohnwitzigen Sprühgeistes« bezeichnen.
Zahlreiche Proben stehen auf der Grenze zwischen Scharfsinn und Schrulle; so bei Optiker »der Briller«, der hier zuerst als befremdender, aber nicht ganz aussichtsloser Gast auftritt; da ja auch vereinzelte Ingenieure angefangen haben, sich »Ingner« zu nennen. »Hundrig« sollen wir sagen statt des rackerlateinischen prozentual. Wird sich's durchsetzen? Ich wage zu zweifeln, denn selbst im Rackerlatein kommt man bei centum eher auf Hundert als auf den Hund. Die »Monade« soll verschwinden, um dem »Einchen« Platz zu machen. Das klingt sehr reizend und eröffnet Ausblicke auf eine verniedlichende Wissenschaft, in der Atome bereits als »die Etwase« vorgemerkt sind.
Auf Engels Rechnung kommen sicherlich auch die prächtigen Schlagworte, die über seinem ganzen Werk als die klangfarbigen Obertöne schweben: »Kunstschmockwort, Heimpariserei, Stallknechtenglisch, Leierkastenitalienisch, Wissenschaftelei, Berlinfranzösisch, Blödlingswort, Engländernde Affenschande, Schwammverwandt, Neumodische Schmockerei usw.«; oft und gründlich mißbraucht, wenn ihm der Rotkoller des Amokläufers zu Kopf steigt, sind sie doch Eigenprägung, trutzige Wahrzeichen seines Stils und seiner Persönlichkeit. Er fühlt sich im Recht, und er hat auch bisweilen Recht auf gewissem nicht allzuweitem Gebiet der Selbstverständlichkeit, wo der Purist gute und lohnende Arbeit zu leisten vermag. Beschränkt er sich auf dieses Gebiet, ohne sich und uns sein Wirken als eine Reformation an Haupt und Gliedern der deutschen Sprache aufzureden, so soll er uns willkommen sein.
Ich habe es in vorliegender Schrift nicht für notwendig gehalten, dieses Feld besonders zu beackern; weil es mir widerstrebt, Selbstverständlichkeiten zu beweisen oder auch nur ausführlich zu erörtern. Aber im Zuge dieses Kapitels mag es hingestellt werden, daß die landläufige Rede und Schreibe viel Entbehrliches und manches Schädliche aufgenommen hatte, Fremdbrocken, die ohne Verlust für das Große und Ganze abgestoßen werden können. Ein Wort wie Perron wäre uns nicht zum Verhängnis geworden, und das Wort Bahnsteig beglückt uns nicht. Aber es lohnt nicht, darum zu streiten. Mit rekommandiert und poste restante kommt man in der Welt weiter, als mit eingeschrieben und postlagernd, Portier ist weltverständlicher als Pförtner, aber es kostet mich keine Überwindung, rekommandiert, poste restante und Portier als Entbehrlichkeiten anzuerkennen; und ich kann mich in ein Amtsgewissen hineindenken, dem sie als schädlich erscheinen. Nur daß die Frage, ob so oder so, nicht in das höhere Schrifttum hinüberreicht. Daß mit Fremdwörtern in übermäßiger Häufung und verkehrter Verwendung gesündigt werden kann, braucht nicht erst bewiesen zu werden; ebensowenig, daß die ärgsten Sünder ebensooft beim Frevel mit Deutschworten ertappt werden können. Beim sinnlosen Kauderwelscher liegt die Sinnlosigkeit durchaus nicht nur im Vokabular; entzieht es ihm, trichtert ihm
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