Das Geheimnis der toten Voegel
versprochen, und dann ist nichts daraus geworden. Daraufhin ist einer der Typen sauer geworden und hat die Kontrolle verloren. Wem nützt es eigentlich, wenn Sie in diesem Mist wühlen? Dürfen wir Sandra nicht einfach als die tüchtige Krankenschwester in Erinnerung behalten, die sie war, ehe sie auf die schiefe Bahn geriet?«
Als Maria Reine Hammar zum Ausgang gebracht hatte, rief sie Jonatan Eriksson an. Er freute sich offensichtlich darüber, ihre Stimme zu hören.
»Ich wollte dich schon den ganzen Vormittag anrufen. Ich habe sicher zehn Mal den Hörer genommen und wieder aufgelegt. Aus Feigheit. Ich bin nicht so gut in so was. Ich wollte mich bedanken. Vielleicht können wir uns bald wieder treffen und was essen gehen. Ich habe ewig nicht mehr einen so netten Abend verbracht.«
»Ich auch nicht. Wie geht es Emil?«
»Eigentlich ganz gut. Aber er fängt an, etwas unruhig zu werden. Er hat kein Fieber mehr.«
»Wie schön. Du, Jonatan, ich muss dich noch etwas anderes fragen. Verwahrt man Morphium für Injektionen im Kühlschrank?«
»Nein, das ist keine Kühlware. Warum fragst du?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Muss man Impfstoffe denn kühl aufbewahren?«
»Ja, Grippeimpfstoffe sind eine Kühlware. Wann hast du Zeit, dich wieder mit mir zu treffen? Die richtige Antwort lautet jetzt sofort. Ich habe über etwas nachgedacht, aber ich möchte es unter vier Augen mit dir besprechen.«
»Das klingt aber sehr intim.« Maria bemerkte, dass sie anfing zu kichern, und versuchte, sich zusammenzureißen.
»Mach dir keine Hoffnungen, es geht um die Arbeit«, entgegnete er, doch unter dem Ernst schien sich ein Schmunzeln zu verbergen. »Ich hatte vorgehabt, Malte gegen fünf zu holen. Aber Marianne hat sie in einem Schrank eine Höhle bauen lassen, und die Kinder wollen dort übernachten. Das heißt, wenn das auch für dich in Ordnung ist. Und da wir dann beide heute Abend kinderfrei haben, dachte ich, es wäre nett, zusammen essen zu gehen. Außer du findest, dass das zu bald wäre.« Gegen Ende redete er ganz schnell, und Maria musste über seine offenkundige Nervosität lächeln. »Ich finde, das klingt perfekt.«
Maria griff nach dem Poststapel, den sie gerade sortiert hatte, als der Anruf der Putzfrau gekommen war. Bei der Post musste auch die Antwort des gerichtsmedizinischen Institutes auf die Frage sein, ob das Blut von Sandra Hägg Drogen enthielt. Maria öffnete den Umschlag und las. Es war, wie sie geahnt hatte. Sandra war sauber – keine Spuren von Alkohol oder Narkotika.
32
Als Maria zugesagt hatte, sich nach der Arbeit mit Jonatan zu treffen, hatte sie den Anruf von Nordkalk in Kappelshamn noch nicht erhalten, einen Anruf, der alle Pläne des Tages umwerfen und sich für den Rest ihres Lebens in ihre Erinnerung einätzen würde. In der Grube, in der man ungelöschten Kalk entsorgte, war eine Leiche gefunden worden.
Knapp vierzig Minuten später stand sie zusammen mit Tomas Hartman vor dem Büro von Nordkalk. Der Lärm der Steinbrechmaschinen und des Windes, der vom Meer herüberwehte, ließ ihre Stimmen fast untergehen. Unten im Hafen wurde ein Schiff beladen. Auf der ganzen Umgebung lag wie Pulverschnee eine feine Schicht von Kalkstaub. Trotz des Regens hatten die Rosen in den Beeten eine unnatürlich blasse Farbe. Die grauen Stämme der Bäume sahen aus, als wären sie in Zement gegossen. Hoch über dem Boden verliefen Transportbänder zwischen den großen Silogebäuden. Maria verfolgte ihren Weg und sah schließlich zu den gigantischen Kalksteinbergen. Ihrer Einschätzung nach waren sie sicher zwanzig Meter hoch.
Der Betriebsleiter Karl Nilsson, mit dem Maria am Telefon gesprochen hatte, fuhr sie in seinem Jeep über das Gelände. Hartman folgte ihm in den Steinbruch – auf Straßen, die von Fichten gesäumt waren und zwischen Felskanten und grün schimmernden Seen hindurchführten, durch eine seltsame, karge und reizvolle Mondlandschaft, einen steilen Hügel hinauf, auf dem die weißen Rotoren des Windkraftwerks im Wind surrten. Er zeigte ihnen die Regenbogenforellen- und Lachsforellenzucht und den Nistplatz für verschiedene Arten von Wildvögeln. Die Sonne war in Dunst gehüllt, und das Licht, das von den weißen Steinen reflektiert wurde, war wunderschön und fast übernatürlich, wie das verklärte Licht in einem Altargemälde.
Maria stellte ein paar allgemeine Fragen zum Kalksteinbruch und erfuhr, dass Kalk unter anderem in Stahlwerken und in der Zuckerindustrie bei der
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