Das Geheimnis der toten Voegel
Häusern sterben, weil es keine Krankenhausplätze gibt. Vielleicht ist es an der Zeit, mit der Sache an die Medien zu gehen, vielleicht muss man jetzt mal Klartext reden. Åsa Gahnström ist auf dem Weg hierher. Die wütende Masse hier draußen hat versprochen, abzuwarten, was sie zu sagen hat. Wenn es nichts gibt, was man den Kindern geben kann, wird die Hölle los sein. Was machen wir dann? Das ist doch einfach nicht wahr! Das ist der reinste Albtraum!«
»Ich weiß nicht, was wir machen sollen, Morgan, ich weiß es wirklich nicht.«
»Du, da ist noch etwas, ich weiß, dass ich dich eigentlich nicht damit belasten sollte, aber ich finde, du solltest es trotzdem wissen. Meine Frau war gestern mit ein paar Leuten in der Kneipe und hat den Abschied eines Kollegen gefeiert. Sie hat Nina gesehen. Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, damit du es nicht falsch verstehst, aber Nina, also deine Frau …«
»Was war mit Nina?« Durch den Schmerz in der Brust musste Jonatan sich zusammenkrümmen. Er nahm ihm fast den Atem, ein reißender Schmerz, der sich bis in den Rücken ausbreitete. Das fehlte gerade noch …
»Nina war hackezu und wurde rausgeschmissen, weil sie laut wurde und, na ja, unverschämt. Sie hat mit anderen Gästen Streit angefangen. Es tut mir so leid, Jonatan. Aber ich fand, du solltest das erfahren.«
»Danke, Morgan. Da hast du natürlich recht. Nina hat es in der letzten Zeit nicht leicht gehabt. Ist Åsa Gahnström jetzt bei dir? Ich müsste mal mit ihr reden.«
»Nein, sie ist noch nicht hier. Sie müsste aber bald kommen, sonst gibt es einen Aufruhr. Ich kann die Verantwortung nicht mehr länger übernehmen. Ich vertraue darauf, dass du an die Sozialverwaltung weiterleitest, was ich gesagt habe: ich kann die Verantwortung nicht mehr länger übernehmen, und du hast es gehört.«
Jonatan wählte die Nummer zu Hause, ließ es acht Mal klingeln und rief dann seine Mutter an. Sie versprach, sich darum zu kümmern, wo Malte war. Ihre Stimme klang so klein und ängstlich, dass es ihm wehtat.
»Es ist so schlimm, dich darum bitten zu müssen, Mama, aber ich sehe keine andere Möglichkeit, Ich weiß, wie Nina sich dir gegenüber benimmt. Wenn das hier alles vorbei ist, dann werde ich etwas in meinem Leben verändern. So kann es nicht weitergehen.«
Sie beruhigte ihn mit der Versicherung, dass sie ihr Bestes tun würde.
»Ich werde Malte finden und ihn mit zu mir nehmen. Kümmere du dich um deine Arbeit, Jonatan. Ich mach das hier schon.«
Die Eltern von Sebastian saßen in Schutzausrüstung in der Schleuse auf der anderen Seite der Glasscheibe. Sie hielten einander an den Händen. Jung und hilflos. Aber sie hatten einander, das war deutlich zu sehen. Er ging zu ihnen hinein und erläuterte ihnen die Lage so schonend wie möglich.
»Sebastian muss nach Linköping verlegt werden. Wir können einen von Ihnen mitfahren lassen.«
»Aber er wird doch wieder gesund?« Die Stimme der Frau war hinter der Maske nur ein Wispern, aber die Augen waren umso größer. Als Jonatan mit der Antwort zögerte, begann sie zu weinen.
»Ich hoffe, dass er wieder gesund wird. Wir tun, was wir können, aber seine Nieren arbeiten schlecht, und das Herz macht Probleme. Er ist sehr aufgedunsen, das werden Sie sehen. Was auch immer da drinnen passiert und wie schwer es Ihnen auch fallen wird, Sie dürfen nie die Schutzausrüstung ablegen oder die Maske lockern.«
Als sie das Jonatan versprochen hatten, gingen sie in das Krankenzimmer, in dem zwei Schwestern den Jungen gerade mit Sauerstoffflasche, Notfallweste und Intubator für den Transport fertig machten. Sebastian sah sie an. Dann schloss er wieder die Augen. Die Wangen unter der Atemschutzmaske glühten vom Fieber. Er wurde vorsichtig mit einem Tragetuch auf eine Trage mit Rädern gehoben. Die Eltern sahen verloren aus und so, als hätten sie das Gefühl, im Weg zu stehen. Jonatan unterbrach die Vorbereitungen, um dem Vater einen kleinen Augenblick zum Abschiednehmen zu geben. Sie hatten beschlossen, dass Sebastians Mutter mit ihm nach Linköping fahren würde.
»Halt dich wacker, mein Junge. Wir sehen uns, wenn du wieder zurückkommst.« Der Vater boxte Sebastian freundschaftlich gegen die Schulter, und Sebastian sah auf und nickte. Da brach die forsche Haltung zusammen, und der Vater legte den Kopf auf den Bauch seines Sohnes und weinte. Und ehe jemand ihn daran hindern konnte, hatte er die Maske abgenommen und seine Wange an die des Jungen gedrückt,
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