Das Geheimnis der toten Voegel
kontrollieren, war ein Tumult ausgebrochen, als den Patienten der Zutritt zur Ambulanz verweigert worden war.
Was Jonatan Eriksson jedoch im Moment am meisten Sorgen machte, war, dass es dem einen der beiden zehnjährigen Jungen, die am gestrigen Tag eingeliefert worden waren, Sebastian Wahlgren, sehr schlecht ging. Emil Wern schien mit der Infektion besser klarzukommen. Man hatte Kontakt zu den Eltern von Sebastian aufgenommen, sie würden jeden Moment kommen. Jonatan graute vor diesem Gespräch. Tut mir leid, aber wir haben nicht mehr zu bieten als allgemeine Pflege und gutes Zureden. Vielleicht wird man ihn an das Beatmungsgerät anschließen müssen, aber es gibt keine mehr auf der Insel. Für die bestmögliche Pflege müsste er nach Linköping gebracht werden. Dort ist ein Platz frei, aber auch dort hat man keine antiviralen Medikamente zur Verfügung.
Die Patienten aufs Festland zu bringen, auch das war ein Risiko, das man in der gegenwärtigen Situation eingehen musste. Wenn man da am Bett stand und zusah, wie es einem zehnjährigen Jungen immer schlechter ging, und wusste, dass seine Überlebenschancen größer waren, wenn er die Insel verließ, was machte man dann? Eine kleine Chance, aber man nahm sie natürlich wahr.
Jonatan hatte Åsa Gahnström seine Arbeitssituation in scharfen Worten dargelegt, und sie beteuerte, der nationale Seuchenausschuss würde sein Möglichstes tun, um Tamivir zu bekommen. Das war ein Medikament, das sich in Tests als wirkungsvoll gegen die Vogelgrippe erwiesen hatte, die in Vietnam und dann in Weißrussland ausgebrochen, dann aber wieder abgeklungen war, sodass die Pandemie, die man befürchtet hatte, ausblieb. Doch es sah nicht gut aus. Die Darreichungen, die man über einen Internethändler gekauft hatte, hatten sich als wertlose Zuckerpillen mit einem Zusatz von Kortison und Anis entpuppt. Aus China importiert.
Es klopfte an der Tür, und Jonatan setzte seine Atemschutzmaske wieder auf.
»Sebastians Eltern sind jetzt da.« An der Stimme erkannte er Schwester Eva, ansonsten sahen sie und Schwester Agneta vollkommen gleich aus, wenn sie eine Maske trugen. Jonatan verspürte einen Anflug von schlechtem Gewissen. Er hätte sich erkundigen sollen, wie es Schwester Agneta ging. Das war seine verdammte Schuldigkeit als Chef. Aber was könnte er ihr zum Trost sagen? Nicht viel. Und die Müdigkeit ließ alles erlahmen. Wenn er lebend aus diesem Inferno herauskäme, dann würde er sich vor allen verstecken und ewig mit niemandem reden und mehrere Tage lang schlafen, seinen Job als Arzt kündigen und niemals, niemals mehr Entscheidungen treffen, die mit dem Leben und der Gesundheit anderer zu tun hatten.
»Helfen Sie ihnen bitte mit der Schutzkleidung. Ich rufe Åsa Gahnström an und erkundige mich, wie die Verhandlungen vorwärtsgekommen sind und ob es etwas Neues gibt. Wie nehmen sie es auf?«
»Natürlich sind sie sehr besorgt. Werden Sie ihnen erzählen, dass Sebastian verlegt werden muss, damit er Intensivpflege erhalten kann?«
»Ich habe ihnen nur gesagt, dass es ihm schlechter geht, nicht, wie schlimm es ist. Das werde ich ihnen jetzt sagen. Ich wollte nicht, dass sie im Autoverkehr ihr Leben riskieren, um hierherzukommen. Es ist besser, ihnen gegenüber zu sitzen und ihre Fragen in Ruhe beantworten zu können.«
»Ich habe nur gefragt, damit ich weiß, was ich sagen kann, wenn sie mich fragen.« Schwester Eva verschwand wieder. Jonatan holte tief Luft und verspürte einen Druck auf dem Brustkorb, er konnte keinen ganzen Atemzug nehmen. Wahrscheinlich Seitenstiche oder ein beginnender Infarkt. In seiner Lage war es fast egal – der Tod als Befreiung von allem Elend stellte für ihn keinen Schrecken mehr dar.
Er nahm den Hörer, um die Durchwahl von Åsa Gahnström zu wählen, doch stattdessen hatte er plötzlich seinen Kollegen Morgan Persson in der Leitung, der in Klintehamn die Eltern der Kinder beruhigte, die sich noch im Fußballcamp befanden.
»Hier ist die Hölle los. Ich kann die Stellung hier draußen nicht halten. Die Eltern verlangen, ihre Kinder holen zu dürfen. An der Absperrung stehen jede Menge Leute, die ihnen helfen wollen, ihre Kinder zu befreien. Sie begreifen einfach nicht, was sie riskieren, wenn die Infektion sich verbreitet und es keine Medikamente gibt. Wenn wir es nicht schaffen, die Infektion zu begrenzen, dann müssen wir mit Hilfe des Militärs die ganze verdammte Insel absperren, und dann werden die Leute wie die Fliegen in ihren
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