Das Geheimnis der Totenmagd
Um die schorfigen Lippen der Totenmagd spielte ein böses Lächeln.
Kilian schaute sie nachdenklich an. »Sei vorsichtig«, riet er ihr mit ernster Miene. »Er hat Übles mit dir vor.«
Katharina sah ihn erschrocken an. »Was denn? Sagt mir bitte die Wahrheit. Egal, wie schlimm sie ist.«
Kilian hielt kurz inne, bevor er ihr mit brüchiger Stimme zuraunte: »Er will dich demütigen und deinen Willen brechen. Reinfried erträgt es nicht, wenn sich ihm Menschen widersetzen. Und er ist sehr nachtragend.«
»Weil ich ihm bei der Versammlung widersprochen habe?« Katharina fühlte, wie eisige Furcht von ihrem Herz Besitz ergriff.
»Nein, nein, das hat ihn vielleicht noch zusätzlich angestachelt. Die Gründe dafür liegen sehr viel weiter zurück. Ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnern kannst. Es war vor zwei Jahren, im Pestjahr 1507 . Damals zogen wir in Frankfurt ein und hielten auf dem Rossmarkt eine große Geißelung ab. Da hat der Meister dich angesprochen und aufgefordert, dich uns anzuschließen, und du hast ihn vor aller Augen beschämt und ihn einen Scharlatan genannt. Wir wollten dich daraufhin ergreifen, doch du bist uns entwischt. Der Meister war außer sich vor Wut und hat geschworen, dass du ihm das büßen müsstest, wenn du ihm je wieder unter die Augen kommen solltest. Und unglücklicherweise ist das geschehen.«
»Er hat es also damals schon geplant?« Katharina versagte die Stimme.
»Ja, so ist Reinfried. Er spielt erst mit den Menschen, bevor er sie tötet. Und er hat Freude am Quälen. Seine große Trumpfkarte ist, dass er unglaublich charmant sein kann. Er betört die Leute regelrecht, besonders die Frauenpersonen. Sie erliegen ihm, rennen ihm hinterher. Er ist wie ein Rattenfänger«, erklärte der junge Adelsmann. »Auch ich bin ihm auf den Leim gegangen, und jetzt komme ich nicht mehr von ihm los …«
»Das muss sich erst noch herausstellen«, unterbrach ihn Katharina streng. »Aber dass ich auf diesen Schurken hereingefallen bin und die Leute vor den Kopf gestoßen habe, die es gut mit mir meinten, das verzeih ich mir nie!«, platzte es aus ihr heraus.
»Da sind schon andere Leute schwach geworden. Außerdem hat er bei dir ein wenig nachgeholfen.«
»Wie das?«
»Nun, er hat dir damals im Spital den Saft der Totenblume eingegeben. Das ist die gleiche Medizin, die er auch Mechthild und Tobias verabreicht hat. Er pflegt sie selbst herzustellen, und sie besteht zu gleichen Teilen aus Bilsenkraut und Schlafmohn. Nach einigen Malen macht dieses Teufelszeug aus dem muntersten Zeitgenossen eine schwache, willenlose Kreatur, die nur noch den einen Wunsch kennt: Mehr davon zu bekommen. So war es auch bei Mechthild. Zum Schluss hat sie immer größere Mengen davon benötigt, um nicht vor Schmerzen die Wände hochzugehen. Ich mache mir im Nachhinein die schlimmsten Vorwürfe. Denn immerhin war ich derjenige, der ihr im Hause ihrer Eltern das Elixier eingeflößt hat.«
»Hast du es denn selbst schon genommen?«
»Ja, kurz nach meinem Straucheln hat es mir Reinfried ein paar Tage lang verabreicht. Es tat teuflisch gut und brachte mich fast um den Verstand. Glücklicherweise gelang es mir dann, Reinfried davon zu überzeugen, dass ich nach wie vor sein treuer Gefolgsmann bin und mein Fehltritt einzig in der unsinnigen Verliebtheit zu einer Frau begründet lag.« Der ehemalige Mönch senkte verlegen den Blick. »Ich muss zugeben, dass es all meiner Willenskraft bedurfte, ihn nicht um das Mittel zu bitten.«
»Dann müsst Ihr fürwahr über einen eisernen Willen verfügen. Mir ist es viel zu lange nicht gelungen zu widerstehen. Am Anfang war es mir noch nicht bewusst, dass er mich unter Drogen gesetzt hatte. Obwohl es mir schon damals im Heiliggeistspital unendlich wohl zumute war, wenn er mir die Medizin eingeflößt hat. Und schon bald darauf fing ich an, mich nach ihrer überaus wohltuenden Wirkung zu sehnen, ja, zu verzehren. Erst nachdem Leonhard meinen Ehemann so kaltblütig ermordet hatte, gingen mir die Augen auf, und ich mühte mich fortan mit aller Kraft, dem Teufelszeug zu widerstehen. Außer dem einen Mal, wo Ihr es mir gewaltsam eingetrichtert habt, habe ich es nach der Einnahme immer heimlich erbrochen«, gestand sie freimütig.
»Es tut mir leid, dass ich damals so brutal zu dir war«, gab Kilian kleinlaut von sich. »Aber ich musste es tun, um in den Augen des Meisters und der anderen Brüder wieder glaubwürdig zu erscheinen. Um meine inneren Zweifel zu kaschieren, gab
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