Das Geheimnis der Totenmagd
Katharinas gerötete Augen funkelten diabolisch, was Kilian kurz auflachen ließ.
»Du bist mir ja vielleicht eine Durchtriebene«, mokierte er sich entgeistert.
Die Totenfrau schien von der Idee sehr angetan zu sein. »Ihr habt doch immer dieses Fläschchen dabei, um mir meine Ration einzugeben. Wenn Ihr das den beiden in den Branntwein schüttet, könnt Ihr in aller Ruhe nach dem Schlüssel suchen.«
Kilian schwieg bedrückt, während seine Atemzüge vor Bangigkeit immer keuchender wurden.
Katharina bedrängte ihn: »Wir sollten es in jedem Fall versuchen, es ist unsere einzige Chance. Sonst kommen wir hier nie raus, und was uns dann blüht, wisst Ihr ja selber.«
Trotz der Überzeugungskraft, die in Katharinas Worten lag, schien Kilian zu zaudern. »Ich weiß nicht«, grummelte er unsicher.
»Ihr wollt doch gerne Eure Familie wiedersehen. Das habt Ihr mir vorhin gesagt. – Und ich kann Euch eines versichern: Euer Vater wäre überglücklich, wenn Ihr endlich nach Hause kommen würdet. Er lebt ganz einsam und zurückgezogen auf der Burg und grämt sich unsäglich wegen Euch. Vor ein paar Wochen habe ich ihn gemeinsam mit Mechthilds Schwester Anna auf der Burg Hattstein kennengelernt. Wir waren dorthin gereist, um Euch wegen Mechthild einige Fragen zu stellen …«
»Was? Ihr wart bei meinem Vater? Und er hat Euch empfangen?«, fiel ihr Kilian bass erstaunt ins Wort.
»Ja. Am Anfang war er sehr abweisend. Aber als wir dann Euren Namen erwähnten, wurde er immer zugänglicher und wollte alles über Euch wissen. Es hat ihn sehr betrübt, dass Ihr ihn nie besucht habt, obwohl es von Frankfurt bis in den Taunus kein weiter Weg ist. Er hat mir sehr leidgetan. Er ist ein sehr einsamer, alter Mann …«
»War denn meine Frau Mutter, Gräfin Hedwiga von Hattstein, nicht zu Hause?«, fragte Kilian befremdet.
»Es tut mir leid, Euch das sagen zu müssen, aber Eure Mutter und Euer älterer Bruder sind an der Pest gestorben«, erklärte Katharina traurig.
»O nein! Das kann nicht sein!«, stammelte Kilian bestürzt, barg sein Gesicht in den Händen und weinte heftig.
Nachdem er sich für geraume Zeit ganz und gar seiner Trauer hingegeben hatte, verlangte er von Katharina eine minutiöse Schilderung ihres Aufenthaltes auf Burg Hattstein. Dabei hing er förmlich an ihren Lippen.
Als sie geendet hatte, murmelte er ergriffen: »Ich muss unbedingt nach Hause!«
»Auf was warten wir dann noch?«, entgegnete die Totenfrau entschlossen.
»Gemach, gemach. Das muss erst alles wohl durchdacht und von langer Hand geplant sein«, protestierte der ehemalige Mönch unwirsch. »Man will ja schließlich nicht ins offene Messer rennen.«
»Je eher wir hier rauskommen, desto besser ist es doch!«, konterte Katharina entschieden. »Ich hab nämlich keine große Lust darauf, diesem Schuft noch einmal in die Finger zu geraten.«
»Das kann ich gut verstehen, Totenwäscherin. Trotzdem sollten wir bedächtig vorgehen, denn wenn unser Plan fehlschlägt, sind wir verloren.«
»Das mag sein«, stimmte ihm Katharina widerwillig zu. »Aber wenn Ihr zu lange wartet, sind wir es auch. – Wie spät mag es jetzt wohl sein?«
»Ich schätze, früher Nachmittag. Am Morgen bin ich heruntergekommen, und jetzt bin ich schon ein paar Stunden hier.«
»Gut, dann wird es ja bald dunkel. Ihr geht jetzt am besten hinauf und sondiert die Lage. Und wenn sich die Gelegenheit bietet, präpariert Ihr den Branntwein …«
»Das kann ich nicht!«, unterbrach Kilian sie verängstigt. »Was ist, wenn ich dabei ertappt werde?«
»Ich bitte Euch, tut es! Um der Liebe willen, die Ihr für Mechthild empfunden habt. Es ist unsere einzige Möglichkeit«, sagte Katharina leise und berührte mit der Fingerspitze sachte den Saum seines Gewandes.
Der ehemalige Mönch runzelte ungehalten die Stirn, verzog dann aber zu ihrem Erstaunen die schmalen Lippen zu einem spröden Lächeln und deklamierte schließlich seufzend einen Bibelvers:
»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle … Ihr aber seid zum Steinerweichen, Totenfrau. Also gut, ich sehe zu, was ich machen kann. Aber ich entscheide alleine, wann der rechte Zeitpunkt gekommen ist, und lasse es Euch dann wissen. Bis dahin müsst Ihr Euch noch ein wenig in Geduld üben«, beschied sie der Adelsmann streng und verzichtete dabei zum ersten Mal darauf, die Geringere mit der üblichen Herablassung zu duzen.
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Als
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