Das Geheimnis der Totenmagd
ich mich nach außen hin besonders radikal und unanfechtbar.«
»Das ist Euch in der Tat gut gelungen. Wie Ihr mir gegenüber die Lehren der Bruderschaft vertreten und verteidigt habt, das war schon sehr überzeugend.« Katharina nickte anerkennend.
»Dieses Kompliment kann ich nur erwidern. Wie überzeugend du die Entrückte markiert hast, wenn ich zu dir runterkam. Du hast mich ganz schön an der Nase herumgeführt.«
»Der Verzicht auf das Elixier war der schwerste Kampf, den ich jemals geführt habe, das könnt Ihr mir glauben. Hätte ich es nicht geschafft, wäre mir das gleiche Schicksal beschieden gewesen wie der bedauernswerten Mechthild«, bemerkte Katharina nachdenklich. Da verdüsterte sich ihre Miene plötzlich, als würde sie von einer dunklen Wolke überschattet. »Doch der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Im Gegenteil, er fängt erst an. Nach dem, was Ihr mir eben gesagt habt, steht mir ja noch Schlimmes bevor. Ich muss mich irgendwie dagegen wappnen. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
Die Totenwäscherin blickte den ehemaligen Mönch offen an, der ihr zum ersten Mal ebenfalls in die Augen sah. Zwar verspürte sie gegen den verknöcherten jungen Adelsmann noch längst keine Zuneigung, dazu waren sie einander einfach zu fremd. Doch sie empfand zumindest eine gewisse Verbundenheit mit ihm.
Gefährten der Not sind nicht die schlechtesten , ging es der Totenmagd durch den Sinn.
»Gibt es denn irgendeine Möglichkeit, aus dem Haus zu entkommen?«, wollte sie wissen.
Kilian schien von ihrer Frage nicht überrascht zu sein. »Solche Gedanken hatte ich auch schon«, erwiderte er. »Doch das ist nicht ganz so einfach. Es gibt oben im Haus eine Haustür, und hier unten, im Kellergewölbe, am anderen Ende des Ganges, ist gleichfalls eine Tür, die nach draußen zur Hinrichtungsstätte führt. Beide Türen sind immer verschlossen, und nur der Henker hat die Schlüssel. Mein Schlüssel für die Kerkertür passt dafür nicht, das habe ich bereits ausprobiert. Und die Fenster im oberen Stockwerk sind Tag und Nacht mit Holzläden verrammelt, außerdem ist einer von den Henkersleuten immer zu Hause und hat ein wachsames Auge. In erster Linie wohl wegen dir, dass du hier gut verwahrt bist. Aber ich denke, so ganz traut man auch mir nicht über den Weg.«
»Die Flucht durch die Kellertür wäre wohl am wenigsten auffällig. Könnt Ihr nicht irgendwie an den Schlüssel kommen?« Katharina war vor Anspannung ganz blass geworden.
»Das dürfte schwierig werden, denn Meister Hans hat den Schlüsselbund immer an seinem Gürtel befestigt«, sagte der ehemalige Mönch. Sein abgezehrtes Gesicht glänzte trotz der klammen Kälte des Kellergewölbes vor Schweiß.
»Und nachts, wenn er schläft?«, fragte Katharina vorsichtig.
»Das wäre die einzige Möglichkeit. Aber das ist kein leichtes Unterfangen. Die Gefahr, dabei Lärm zu machen und entdeckt zu werden, ist einfach zu groß. Und dann Gnade mir Gott!« Der junge Gelehrte, der ohnehin nicht zu den Mutigsten zählte, schüttelte verzagt den Kopf.
»Und wenn ich es versuche?«, warf Katharina beherzt ein.
»Wie denn? Du müsstest ja dann von unten durch die Falltür kommen. Und die ist so laut, damit weckst du das ganze Haus auf.«
»Und wenn du sie für mich offen lässt?«
»Unmöglich, das würde man oben in der Stube sehen«, wehrte Kilian ab.
Katharina, die von ihrem Fluchtplan nicht abrücken mochte, dachte eine Weile nach. Dann schien sie eine neue Eingebung zu haben.
»Der Henker und seine Frau sind doch dem Branntwein sehr ergeben, richtig?«, wollte sie wissen.
»Das kann man wohl sagen! Den ganzen Tag über süffeln sie, und abends geben sie sich dann den Rest. Manchmal streiten sie um ihre Branntweinrationen, denn jeder hat Angst, dass ihm der andere was wegsäuft. Das ist schon eine ganz schöne Posse mit den beiden. Ich höre das Gezeter sogar oben in meiner Kammer, nur nicht ganz so laut. Und irgendwann herrscht dann endlich Ruhe. Dann weiß ich, dass sie auf ihren Strohsäcken liegen und ihren Rausch ausschlafen.«
»Säufer haben für gewöhnlich einen festen Schlaf«, konstatierte Katharina trocken. Sie erinnerte sich an den bleiernen Tiefschlaf ihres betrunkenen Vaters. »Vorausgesetzt natürlich, sie sind entsprechend abgefüllt.«
»Schon, aber ich möchte es ehrlich gesagt nicht unbedingt auf die Probe stellen«, gab Kilian zu bedenken.
»Und wenn Ihr noch ein bisschen nachhelft und den Branntwein mit der Totenblume veredelt?«
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