Das Geheimnis der Totenmagd
zutrat.
»Grüßt Euch, Katharina. Was für eine angenehme Überraschung, Euch zu sehen. Was macht Ihr denn zu solch später Stunde noch hier draußen?«, erkundigte er sich gutgelaunt.
»Ich habe mir noch ein bisschen die Beine vertreten, weil ich nicht schlafen konnte«, erwiderte Katharina zurückhaltend und wies mit der Hand auf den Wohnturm. »Außerdem wohne ich hier, ich wollte gerade die Tür aufschließen.«
»Was, hier lebt Ihr? Das gibt’s doch nicht! Da sind wir ja fast Nachbarn. Meine Behausung ist das kleine, windschiefe Häuschen da drüben an der Stadtmauer.«
»Seit wann wohnt Ihr denn da? Ich habe Euch noch nie dort gesehen. Das Haus gehört doch der Witwe Braunfels?«
»Ja, das ist meine Vermieterin. Ich bin erst vor ein paar Tagen eingezogen, Anfang November. Vorher habe ich in der Kanngießergasse bei meinem Meister gewohnt, doch das war mit der Zeit zu eng mit dem Meister und der Meisterin und den fünf kleinen Kindern. – Aber das ist ja erfreulich, dass wir Nachbarn sind. Dann hoffe ich, dass Ihr mich bald einmal besuchen kommt. – Oder, vielleicht darf ich Euch ja jetzt schon zu einem Glas Wein einladen?«, fragte er und schaute sie hoffnungsvoll an.
»Das schickt sich nicht«, entgegnete Katharina vorsichtig. »Und Ihr müsst wissen: Ich bin eine verheiratete Frau. Mein Mann ist der städtische Nachtwächter, und in dem Turm ist seine Dienstwohnung.«
Dem Maler stand die Enttäuschung förmlich ins Gesicht geschrieben. »Wie schade«, erwiderte er leise. »Ich meine, schade, dass Ihr schon vergeben seid. – Verzeiht mir, ich wollte Euch nicht zu nahe treten.«
Einen Moment schien er zu überlegen, dann fügte er hinzu: »Vielleicht darf ich Euch ja doch einmal porträtieren, wenn es Euer Gatte erlaubt.«
Als Katharina daraufhin nur ein nachdenkliches Gesicht machte und schwieg, ergänzte er: »Glaubt mir, ich will nichts Ehrenrühriges von Euch. Ich habe mich einfach nur gefreut, dass wir uns begegnet sind.« Seine Augen blickten dabei so entwaffnend und aufrichtig, dass Katharina trotz ihrer Niedergeschlagenheit unwillkürlich lächeln musste.
»Gegen einen gelegentlichen Plausch unter Nachbarn ist ja auch nichts zu sagen«, entgegnete sie. »Mir steht nur gerade nicht so der Sinn danach. Ich habe nämlich schlimme Sorgen.«
Florian blickte sie mitfühlend an. »Wenn ich Euch irgendwie helfen kann? Manchmal genügt es ja schon, einfach darüber zu reden.«
»Danke«, erwiderte Katharina schlicht. »Vielleicht habt Ihr ja recht. Aber ich kenne Euch kaum. Wie soll ich wissen, ob ich Euch vertrauen kann?«
»Das könnt Ihr. Auch, wenn wir uns noch nicht lange kennen, kann ich Euch eines versichern: Egal, um was es geht, ich bin grundsätzlich auf Eurer Seite«, sagte Florian Hillgärtner mit fester Stimme und schaute Katharina offen an.
Die junge Totenwäscherin spürte, dass der junge Mann es ehrlich meinte, und sie war eigentlich ganz froh darüber, jemanden gefunden zu haben, dem sie ihre Sorgen anvertrauen konnte. Stockend begann sie, dem Meisterschüler von der unglückseligen Verhaftung ihres Vaters und den unglaublichen Vorwürfen gegen ihn zu erzählen. Florian hörte ihr schweigend zu.
Als sie geendet hatte, sagte er: »Am besten wird es sein, wenn Ihr tatsächlich morgen mit dem Pfarrer sprecht. Wenn Euer Vater schon so lange in seinen Diensten ist, kann er sich vielleicht bei diesem Inquisitor für ihn einsetzen.« Er sprach Katharina Mut zu: »Bestimmt wird sich alles aufklären, und Euer Vater kommt bald wieder frei.«
»Euer Wort in Gottes Ohr«, entgegnete Katharina beschwörend. Aber die Aussprache hatte ihr gutgetan, und sie wünschte dem Nachbarn eine gute Nacht.
*
Als der Inquisitor an jenem tristen Novemberabend den Mainzerturm verließ und sich energischen Schrittes zum Pfarrhaus der Peterskirche begab, um mit dem Herrn Pfarrer zu nachtmahlen, hatte er allen Grund, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. In einer Ledermappe, auf welcher die Insignien der Heiligen Kurie kunstvoll in Gold geprägt waren, trug er bei sich das Protokoll mit dem umfangreichen Schuldeingeständnis des Delinquenten.
Selbst die ruppigen Windböen und der eiskalte Regen vermochten es nicht, Ottenschlägers Stimmung zu trüben, und als er wenig später mit Pfarrer Juch in der wohlig warmen Stube an der festlich gedeckten Tafel saß, begann er auch sogleich, gutgelaunt von der Vernehmung zu berichten.
Auch Juch war über den raschen Erfolg erfreut. Doch während er nach
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