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Das Geheimnis der Totenmagd

Das Geheimnis der Totenmagd

Titel: Das Geheimnis der Totenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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den Beinen stand und ein paar Schritte rückwärtsgehen wollte, stolperte ich über ein sperriges Hindernis, welches ich in der Dunkelheit nicht bemerkt hatte. Ich fiel zu Boden und fand mich dicht an dicht mit mehreren übereinanderliegenden Leichen. Starr vor Abscheu wich ich zurück und stakste mit wackligen Beinen ein Stück weiter, wo ich mich erschöpft zu Boden sinken ließ. Ein schlimmer Durst plagte mich, ich fühlte mich wie ausgetrocknet. Wo war der nächste Bach oder Brunnen? Mein Blick wandte sich wieder der mächtigen Steinmauer und den Dachgiebeln zu, die sich vor dem klaren Nachthimmel abzeichneten, und mir wurde mit einem Mal bewusst, dass es in Gückingen nur zwei Gebäude gab, die von einer Mauer umgeben waren: die Dorfkirche mit dem Gottesacker und das Hofgut der Herren von Gückingen. Ich begriff, dass ich mich in unmittelbarer Nähe meines Elternhauses befinden musste. Diese verdammten Schurken hatten mich einfach draußen vor der Mauer abgeladen.
    Ich tastete nach meinem kurzen, zweischneidigen Schwert, welches ich in einer Lederscheide am Gürtel zu tragen pflegte, doch es war nicht mehr da. Die wild aufflackernde Wut verlieh mir neue Kräfte, und ich bewegte mich leicht schwankend, aber zielstrebig zum Torbogen hin, der zum Innenhof mit dem Ziehbrunnen führte. Da fühlte ich, wie mir etwas Feuchtes den Nacken herabrann. Es war Blut, das aus einer schmerzhaften Wunde am Hinterkopf sickerte. Gleichzeitig spürte ich einen stechenden Schmerz an der Nasenwurzel und ließ meine Finger vorsichtig über mein Gesicht gleiten. Mir schien, dass an der Nase etwas gebrochen war. Erneut wurde mir schwarz vor Augen, aber der Gedanke an Wasser trieb mich weiter, ich schleppte mich zum Tor – doch es war verschlossen. Mit letzter Kraft humpelte ich zum Fischteich, der nur einen Steinwurf vom Anwesen entfernt lag, fiel auf die Knie und trank in gierigen Schlucken das brackig schmeckende Wasser. Dann ergab ich mich meiner Erschöpfung und schlief am Ufer ein.
    Gleich nach dem Aufwachen am nächsten Morgen machte ich die schockierende Entdeckung, dass sich unter den toten Körpern, über die ich in der Nacht gestolpert war, auch die Leiche meiner Mutter befand. Die Beulen und dunklen Flecken an Armen und Beinen verrieten mir, woran sie gestorben war. Ich verharrte eine Weile in tränenloser Trauer.
    Nun beschloss ich, den alten Jagdaufseher und Jäger Michel Puch, der schon seit Jahrzehnten in treuen Diensten der freiherrlichen Familie stand, aufzusuchen, um mir bei ihm und seinen Gehilfen wehrhafte Unterstützung gegen die Eindringlinge zu suchen. Er lebte in einer Jagdhütte am Waldrand. Ich musste mehrmals an die Tür klopfen, bis endlich aus dem Inneren eine dunkle, knarzende Männerstimme, die ich freudig als die des alten Jägers erkannte, nach meinem Begehr fragte. Nachdem ich mich zu erkennen gegeben hatte, wurde die Tür entriegelt. Bei der Begrüßung liefen dem knorrigen Alten Freudentränen über die Wangen.
    Als er mich genauer in Augenschein nahm und meine Blessuren bemerkte, erkundigte er sich besorgt, was mir widerfahren sei. Ich berichtete ihm von den unglückseligen Ereignissen und erwähnte auch, dass ich die Leiche meiner Mutter unter den Pesttoten gefunden hatte. Der Alte bekreuzigte sich und setzte mich mit bebender Stimme darüber in Kenntnis, dass vor ein paar Wochen auch mein Vater und kurz darauf meine beiden Brüder an der Pest gestorben seien. Er selbst habe fast alle seine Angehörigen verloren. Und diejenigen, die überlebt hatten, seien vor der Pest davongelaufen. In ganz Gückingen war nur noch eine Handvoll Leute zurückgeblieben.
    Als ich mich anschließend am Waschzuber wusch und meine Wunden versorgte, entdeckte ich mit Entsetzen mehrere hühnereigroße Schwellungen an den Achselhöhlen und wusste sofort, dass ich nun auch an der Seuche erkrankt war.
    »Nun bist du also doch gekommen, mich heimzuführen, Gevatter«, flüsterte ich mit bebender Stimme und barg schluchzend mein Gesicht in den Händen.

6
    Seit über drei Jahrzehnten war Hubertus Ottenschläger Inquisitor der Heiligen Kurie in Rom und hatte während dieser langen verdienstvollen Zeit in sämtliche Abgründe der menschlichen Seele geblickt. Mit einigem Stolz konnte er von sich behaupten, dass es keinem Menschen je gelungen war, ihn hinters Licht zu führen.
    Das Blut hatte er aus ihnen herauspeitschen lassen, er hatte ihr Fleisch mit glühenden Zangen malträtieren, ihnen die Gliedmaßen zermalmen, die Zungen

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