Das Geheimnis der Totenmagd
in der Lage zu laufen und musste vom Scharfrichter und seinem Gehilfen in die Folterkammer getragen werden. In vollkommener Apathie ließ er es über sich ergehen, dass der Henker ihm ein Seil um den Kopf legte und es so straff anzog, dass ihm das Blut in den Ohren rauschte. Auf die anschließend von dem Dominikaner geäußerten Anschuldigungen reagierte er nicht. Erbost erteilte Ottenschläger daraufhin den Befehl, das Seil noch enger zu schnüren, trat hinter seinem Schreibpult hervor und schrie dem Gefolterten gellend ins Gesicht, er solle nun endlich seine Mittäter preisgeben, sonst lasse er ihm sein jämmerliches Säuferhirn zu den Ohren herauspressen. Der Züchtiger straffte mit Hilfe eines Eibenholzkeils, welcher mit den Strickenden verbunden war, erneut das Seil, doch statt zu gestehen, verfiel der Delinquent in konvulsivische Zuckungen, verdrehte die Augäpfel, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und erlitt einen Blutsturz. Der Inquisitor, der fast von dem Blutschwall getroffen worden wäre, sprang angewidert zur Seite und keifte vorwurfsvoll:
»Was ist denn das für eine Schweinerei! Der Drecksack verblutet uns ja noch unter den Händen!«
»Ich habe nur getan, was mir aufgetragen wurde«, entgegnete Meister Hans mit kühler Gelassenheit. »Aber ich stimme Euch zu, wenn wir Pech haben, verreckt uns der noch bei der Tortur.«
»Dann unterbreche Er halt in Gottes Namen! Es geht ja schließlich nicht an, dass dieser Lumpenhund um sein Todesurteil kommt«, schnaubte Ottenschläger. Es war ihm zwar nicht gelungen, dem Totengräber die Namen seiner Komplizen zu entringen, wodurch dem Inquisitor und der heiligen Mutter Kirche Ruhm und Glanz weiterer spektakulärer Schauprozesse mit einer Reihe aufsehenerregender Hinrichtungen vorenthalten blieben. Aber er würde dafür Sorge tragen, dass Sahl sein angemessenes Urteil bekam. Wusste er doch aus langjähriger Berufserfahrung nur allzu gut, dass die Hinrichtung nichts anderes als eine besonders ausgeklügelte Folter war. Diese letzte Tortur auf qualvollste Weise in die Länge zu ziehen war das Einzige, was ihm im Falle Heinrich Sahls noch blieb. Er erinnerte sich an halbverbrannte Ketzer, die noch lebendig aus den Flammen gerissen wurden, um sie stundenlang leiden zu lassen, ehe man sie vollends verbrannte, an zauberische Weiber, die drei Meter über dem Boden aufgehängt und über einem kleinen Feuer langsam zu Tode gebraten wurden, während er zur Feder griff, um für den Hexer Heinrich Sahl eine passende Todesstrafe zu ersinnen.
Nachdem er mehrere Blätter mit seiner gestochen scharfen Handschrift versehen hatte, faltete der Inquisitor die Bögen zusammen, versah sie mit dem Siegel der Heiligen Kurie und ließ das Schriftstück umgehend von einem Boten an den Senat der freien Reichsstadt zu Frankfurt am Main überstellen.
In seiner Empfehlung an den Magistrat hatte er vorgeschlagen, den Übeltäter aufs Rad zu flechten. Ein lodernder Scheiterhaufen wäre ihm für Heinrich Sahl zwar bei weitem lieber gewesen, aber er wusste nur allzu gut, dass so etwas in Frankfurt nicht machbar war. Die Ratsherren in ihrem eitlen Standesdünkel hielten es sich nämlich zugute, dass es in ihrer ach so freigeistigen Stadt bislang keine Scheiterhaufen gegeben hatte, und das sollte auch so bleiben.
Begnügen wir uns also mit dem Rad , dachte er grimmig. Dann wird dem Schurken wenigstens jeder Knochen im Leibe gebrochen. Er war sich gewiss, dass er dieses Schauspiel uneingeschränkt genießen würde.
*
Am Montag, dem 9 . November 1509, fand sich der Rat der Stadt Frankfurt am Main zur zehnten Stunde im großen Versammlungssaal des Rathauses auf dem Römerberg zu einem Strafgericht zusammen. Auch eine Abordnung des städtischen Klerus unter Vorsitz des Inquisitors Hubertus Ottenschläger war erschienen. Die von Ottenschläger vorgelegten Protokolle betonten, Heinrich Sahls Geständnis sei freiwillig, ohne Folter und außerhalb der Folterkammer – sine tortura et extra locum torturae – abgelegt worden.
Einstimmig wurde Sahl zum Tod durch Rädern verurteilt. Am Dienstag der folgenden Woche, einen Tag vor dem Buß- und Bettag, sollte das Urteil um zwölf Uhr mittags auf dem Richtplatz am Galgenfeld vollstreckt werden.
Noch am gleichen Tag ließ der Rat Heinrich Sahls Geständnis und das soeben gefällte Urteil vom Stadtherold auf dem Römerberg verkünden.
Diejenigen, die es hörten, erzählten es weiter, und bald war die Schreckenstat des Totengräbers in der ganzen
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