Das Geheimnis der Totenmagd
Kerze, die auf der Fensterbank stand. Dann geleitete er Katharina zur gegenüberliegenden Wand des Raums, wo eine Reihe von kleinen Tafelgemälden hing.
Selbst eine ungeübte Betrachterin wie Katharina ahnte die Kunstfertigkeit, mit der diese Bilder geschaffen waren. Auf den Gesichtern der dargestellten Zunfthandwerker war jede Warze zu sehen, jede Falte auf den schlaff gewordenen Wangen.
»Wie schön«, murmelte Katharina. »Aber ich frage mich, was gibt es denn für einen wie Euch noch zu lernen? Ihr könnt doch schon alles.«
»Noch unendlich viel, meine Liebe«, entgegnete Florian bescheiden. »Ein ernsthafter Künstler lernt nie aus. Alles andere wäre Anmaßung.«
Katharina gähnte. »So, ich mache mich jetzt auf den Heimweg«, sagte sie entschieden. »Schließlich habe ich morgen Großes vor. Drückt mir die Daumen, dass ich die Stockarns überzeugen kann.«
»Das mache ich. Ich fange schon jetzt damit an«, erwiderte Florian und ballte die Hände zu Fäusten. »Aber ehe Ihr geht, möchte ich Euch noch was zeigen«, sagte er geheimnisvoll und führte sie zu einer Staffelei am hinteren Stubenfenster.
Im Licht der Kerze sah Katharina ein weiteres Gemälde. Es zeigte ein junges Mädchen mit einer grauen Schmetterlingshaube, und erst auf den zweiten Blick begriff sie, dass es sie selbst zeigte. Sie war so beeindruckt, dass ihr zunächst die Worte fehlten.
»Das bin ja ich … aber, ich bin doch nicht so schön …«, murmelte sie schließlich und lächelte verschämt.
»Im Gegenteil. Ihr seid noch viel schöner!«, erwiderte Florian im Brustton der Überzeugung. »Aber es ist ja auch noch nicht ganz fertig.«
»Wann habt Ihr es denn gemalt?«, fragte Katharina verwundert.
»Gleich, nachdem wir uns an Allerseelen vor der Katharinenkirche begegnet sind, habe ich damit angefangen. Ihr hattet doch diese schöne graue Haube auf. – Wenn es fertig ist, schenke ich es Euch.«
»Ihr glaubt ja gar nicht, wie sehr ich mich darüber freuen würde.« Katharina schien regelrecht gerührt zu sein und verabschiedete sich von Florian, indem sie ihm die Hand reichte. Spontan küsste der Maler ihren Handrücken.
Einen Augenblick lang sahen sie einander wie verzaubert an, dann riss sich Katharina los, indem sie sich abrupt zum Gehen wandte.
König Tod
Als er mich tatsächlich an seine Brust zog in unendlicher Schmerzenspein und ich die Todesqualen zum ersten Mal am eigenen Leibe erfahren musste, da herrschte auch bei mir, wie bei allen Todgeweihten, Heulen und Zähneklappern. Mit jeder Faser meines wild rasenden Herzens und meines von der Pest gemarterten Körpers winselte ich um mein Leben, bettelte und flehte ums Verweilen im Hier und Jetzt, feilschte mit dem Tod um jedes Sandkorn, welches unaufhaltsam durch die schmale Öffnung des Stundenglases nach unten rann.
»Ich fürchte mich ganz entsetzlich vor Euch, Gevatter«, wimmerte ich verzweifelt. »Bitte verschont mich nur dies eine Mal, und ich gelobe, Euch mein Leben zu weihen und für immerdar Euer Knecht zu sein«, flüsterte ich, ehe mich eine große Schwärze umfing und ich das Bewusstsein verlor.
Das war am vierten Tag meiner Erkrankung. Der alte Jäger Puch, der mich während der ganzen Zeit aufopfernd gepflegt hatte, sprach ein kurzes Gebet über mir, denn er glaubte, dass mein Ende nicht mehr fern war. Meine Geschwüre waren aufgebrochen und verströmten ein übelriechendes Sekret, dessen fauliger Gestank die ganze Hütte erfüllte. Für den alten Mann, der schon so viele an der Pest hatte sterben sehen, ein untrügliches Zeichen, dass ich den morgigen Tag nicht mehr erleben würde.
Doch ich blieb am Leben, den fünften Tag, den sechsten Tag, und am siebten Tag nach meiner Erkrankung begannen die Pestbeulen an meinem Körper abzuheilen. Ich war zwar noch arg geschwächt, aber wieder bei klarem Verstand und verlangte nach Wasser und Nahrung. Puch konnte es kaum fassen. Beim Anblick der verheilten Male fiel er auf die Knie und bekreuzigte sich.
»Der Herrgott hat an Euch ein Wunder vollbracht, o Herr, Ihr habt den Schwarzen Tod überlebt!«, rief der alte Jäger aus und weinte vor Ergriffenheit.
Auch ich schluchzte und flüsterte mit tränenerstickter Stimme: »Gevatter, ich danke dir!«
Außer sich vor Freude eilte Puch ins Dorf, läutete die Glocken der verwaisten Kirche und kündete auf dem Dorfanger den zaghaft aus ihren Häusern tretenden Dörflern mit feierlicher Stimme:
»Der Herrgott hat an dem jungen Freiherrn ein Wunder vollbracht. Er
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