Das Geheimnis der versteinerten Traeume
er sich zur Seite und stemmte sich auf die Beine hoch. Der zweite Tropfstein bohrte sich neben ihm in die Matratze.
»Du hast von Anfang an nur Schwierigkeiten gemacht«, knurrte Huber.
»Zischen Sie endlich ab, Sie Mörder!«, entgegnete Leo.
»Erst, wenn ich den Auftrag meines Königs erfüllt habe.« Der Wächter von Salem breitete die Arme aus. Seine Finger krümmten sich zu Krallen.
Unvermittelt wuchsen von allen Seiten spitze Zapfen aus dem Fels. Sie kamen als Stalaktiten aus der Decke, hoben als Stalagmiten die Matratzen empor und schoben sich sogar horizontal aus den Wänden heraus.
»Zurück!«, rief Leo und schleuderte seine Traumenergie gegen die Spieße. Rasch hörte deren Wachstum auf, doch damit war die Gefahr noch nicht gebannt. Jetzt begannen sie zu glühen.
»Du magst stärker sein als ich«, sagte Huber gepresst, »aber ich habe mehr Erfahrung. Wer von uns beiden hat wohl den längeren Atem?«
Voller Entsetzen sah Leo, dass einige der Stalaktiten nun wirklich tropften. Es war jedoch kein Wasser, das von ihnen herabrann, sondern flüssiges Magma. Ein glühender Tropfen setzte das Fußende von Okumus’ Schlafunterlage in Brand. »Hören Sie auf damit!«, schrie Leo und formte die Lavaspeier in Eiszapfen um.
Unvermittelt schoss aus einem der durchsichtig gewordenen Zapfen ein dünner Wasserstrahl hervor und zerteilte wie ein scharfes Schwert den Rucksack in zwei Hälften. Zwischen den Füßen des Lehrers bohrte sich ein weiterer Strahl in die Matratze und löschte das Feuer.
Huber lachte. »Ach herrje! So war das eigentlich nicht gedacht. Aber Spaß macht’s trotzdem. Oder hast du dir den Verlauf des Abends anders vorgestellt? Während wir hier spielen, kehrt mein Herr ungehindert nach Illúsion zurück.«
Das hatte Leo in der Aufregung ganz vergessen. Irgendwie musste er diesem Wahnsinn ein schnelles Ende machen. Aber
wie? Hilfesuchend sah er seinen Freund an, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Matratze lag.
»Kristalle«, presste Okumus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Leo begriff sofort, was der Lehrer meinte. Wenn Kristalle im Haus des Illúsischen Rates die formenden Kräfte bannen konnten, dann hier doch sicherlich genauso. Er machte einen großen Schritt, womit er wieder auf seiner Schlafunterlage zu stehen kam, und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Unwillkürlich ballte er dabei die Fäuste. Nach einem Moment der Sammlung lenkte er die ihn durchströmende Energie explosionsartig in den Raum. Ein blendendes Licht verschluckte alle Konturen. Leo sah nur noch strahlendes Weiß.
»Verflucht!«, schrie Huber. Er war außer sich vor Zorn, weil seinem Traum-Ich plötzlich die Hände gebunden waren.
Als Leo wieder sehen konnte, war der Alte verschwunden. Glitzernde Kristalle bedeckten dicht an dicht die Decke, den Boden und die Wände der Kammer. Er ließ sich neben dem Freund auf die Knie sinken und betrachtete besorgt den Zapfen in dessen Schulter.
»Wie geht es dir, Osmund?«
Der Lehrer schloss die Augen, schöpfte Kraft, lächelte seinen Schüler an und ächzte: »Ist mir schon mal besser gegangen.«
»Tut es sehr weh?«
»Nur, wenn ich lache.«
Leo zog den Mund schief. »Was kann ich für dich tun?«
»Im Moment nicht viel. Die Kristalle verhindern, dass du den Pflock in ein Pflaster verwandelst. Du wirst jetzt dringender in der Drusenkammer gebraucht. Nimm die Hellebarde mit. Für den Fall, dass Huber oder jemand anderer Schwierigkeiten macht.«
»Aber ich will dich nicht hier alleine …«
»Ich schaff das schon«, unterbrach ihn Okumus. Er verzog das Gesicht und stöhnte. »Wirklich! Mich könnt ihr nachher wieder zusammenflicken. Geh endlich! Refi Zul darf uns nicht entkommen.«
Leos Schritte hallten dumpf durch den Tunnel. Die Lichter unter der Decke wirkten verwaschen. Im Klartraum war eben manches nicht so klar, wie man sich wünschte. Er rannte so schnell wie möglich. Seine Hand umklammerte den Schaft der Hellebarde. Hoffentlich kam er nicht zu spät.
Vor ihm tauchte die Drusenkammer auf. Weil er sich ihr von der Seite näherte, konnte er nur ahnen, was darin vorging. Huber stand davor. Sein Gesicht schimmerte im Licht der glitzernden Kristalle. Er wirkte irgendwie mitgenommen. Was er wohl sah? Gerade schickte er sich an, die Druse zu betreten.
»Halt!«, rief Leo. Er hob die Hellebarde über die Schulter, als wolle er sie auf den Alten schleudern. Die Drohgebärde zeigte Wirkung.
Der Hausmeister sah die Waffe, erschrak, drehte sich
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