Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Nickel bestehenden Klumpen mitten im Flug, wodurch er ihn länger im Griff behielt und den Kurs nötigenfalls noch korrigieren konnte. Das hatte er sich beim Curling abgeguckt, wo ein Spieler seinen Curlingstein auch sehr behutsam aufs Eis setzte und mit viel Fingerspitzengefühl in die gewünschte Richtung schob, ehe er ihn losließ. Leo begleitete seine Schöpfung bis kurz vor dem Aufprall. Eigentlich sollte die gewaltige Kollision seinem Traum-Ich nicht schaden können, doch ausprobieren wollte er es nicht. Daher zog er sich zurück und beendete die Luzide.
Als er die Augen öffnete, sah er in Orlas besorgtes Gesicht. Sie saß auf einem Stuhl neben seiner Liege.
»Wie lange war ich weg?«, fragte er, während er sich die DreamCap vom Kopf zog. Sie war ziemlich warm, aber wenigstens nicht durchgeschmort.
Sie blickte zur Wanduhr, die über dem Fenster des Kontrollraums hing. »Etwa eine halbe Stunde.«
»Ist mir gar nicht so lang vorgekommen.«
»Hast du es geschafft?«
»In diesem Moment müsste es am Himmel knallen. Herr Doldinger soll seinen Freund bei der ESO anrufen. Je eher wir verlässliche Daten haben desto besser.«
»Das kann aber knapp werden. Die Sonnenfinsternis auf Rapa Nui beginnt kurz vor halb zwölf.«
»Für uns ist nur die ringförmige Phase entscheidend, und die
fängt um dreizehn Uhr sieben an. Außerdem liegt die Osterinsel sechs Stunden zurück. Dort ist es erst vier Uhr morgens. Genug Zeit für einen Krankenbesuch und für eine andere Sache, die mir noch auf der Seele brennt.«
»Hallo Mama.« Leo schloss die Augen und drückte sich das Mobiltelefon ans Ohr. Jetzt fang nicht an zu flennen! Er hätte nicht gedacht, dass der Anruf zu Hause seine Gefühle so in Aufruhr bringen würde.
»Leo, Schatz! Wie geht’s dir?«, brach es aus Severina hervor. Sie klang überrascht, erleichtert und zugleich besorgt.
»Ganz gut. Und euch?«
Ein Gicksen drang aus dem Handy. »Die Welt geht unter, Junge, und du bist nicht bei uns. Wir fühlen uns hundsmiserabel. Papa hört übrigens mit.«
»Moin, moin, Junge«, erklang Emanouels Gruß aus dem Hintergrund.
Leo stöhnte. »Ich habe euch doch geschrieben, dass ihr euch wegen der Nachrichten keine Sorgen zu machen braucht. Es ist alles anders, als es scheint.«
Im Telefon rauschte es, so als habe Severina hineingeblasen. »Leo! Was sagst du da? In welchen Kanal man den Fernseher auch schaltet, überall berichten sie von dem Meteoriten …«
»Komet.«
»Was?«
»Es ist ein Schweifstern.«
»Was spielt das für eine Rolle? Das Ding bringt uns um. Auf der ganzen Welt drehen die Menschen durch. Die eine Hälfte gerät in Panik und die andere veranstaltet Weltuntergangspartys mit Popcorn.«
»Zu welcher Hälfte gehört ihr denn?«
Er hörte ein Schnauben, aber dann klang die Stimme seiner Mutter auf einmal ganz sanft. »Wir möchten bei dir sein. Wir lieben dich, Leo. Du fehlst uns sosehr!«
Das war zu viel für ihn. Er fühlte sich zwischen der Liebe zu ihnen und dem Zorn über ihre jahrelange Ignoranz hin und her gerissen. Letzterer brach sich jetzt Bahn. »Warum habt ihr mir das nie gesagt, als ich noch bei euch war? Ich war euch doch völlig egal. Robbenbabys sind dir wichtiger gewesen als dein eigener Sohn. Und Papa hat seine Firma mehr …«
»Es tut mir leid«, schluchzte Severina ins Telefon. »Es tut mir so furchtbar leid, Leo. Könnte ich die Zeit zurückdrehen, ich würde es anders machen. Besser. Ich war auf dem Selbstverwirklichungstrip und habe dabei das aus den Augen verloren, was wirklich in meinem Leben zählt. Das bist du!«
»Und was ist mit mir?«, ertönte Emanouels gekränkte Stimme aus dem Hintergrund.
»Du natürlich auch«, antwortete Severina und fing an zu weinen.
Im Handy klapperte es. »Leo, bist du noch dran?« Es war sein Vater.
Er schluckte. »Ja.«
»Mama hat recht, Junge. Ich war ein Idiot. Ach, und ich glaube nicht, dass du ein Mörder bist. Nicht mein Sohn.«
»Danke, Papa.«
»Hatte die Geschichte was mit deinen Träumen zu tun?«
»Eher mit erfüllten Wunsch träumen. Und nicht nur mit meinen. Ich hätte nie gedacht, dass es so gefährlich ist, seine Träume zu verwirklichen.«
»Schätze mal, die Kripo hat im Moment andere Sorgen als dich.«
»Ich rede nicht von der Mordanklage, Papa, sondern von Refi
Zul. Er hat davon geträumt, ewig über ein unsichtbares Reich zu herrschen. Und mit den ungeträumten Träumen hat er versucht seine Vision wahr werden zu lassen. Dafür setzte er alles
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