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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wäre ich vorsichtig«, warnte Orla. »Außerdem kenne ich mich hier aus. Der Schilfwald liegt in einer Senke, in die ab und zu Süßwasser aus dem Chaos herüberschwappt. Sie ist zwar lang, aber nicht besonders breit. Jetzt kommt endlich. Wir werden uns nicht verlaufen.«
    Missmutig watete Leo ihr hinterher. An einigen Stellen sank er bis zur Hüfte ein. Sein unsinkbarer Freund keuchte am Ende der Dreierkette mit dem Proviantbeutel auf dem Rücken durchs Schilf. Um die anderen nicht zu überragen, lief Benno geduckt oder kroch sogar auf allen vieren. Je gebeugter seine Körperhaltung, desto mehr japste er.
    Wenigstens war das Wasser nicht so kalt wie der Traumquell. Ab und zu wehte der Wind das unheimliche Gelächter und Geheul der Hyänenschweine herüber. Der Sand hatte sie zurückgedrängt, doch nicht vertrieben. Nach ungefähr fünfzig weiteren Schritten blieb das Mädchen stehen und blies drei Mal in die Schilfpfeife. Der jämmerliche Laut ließ Leo das Gesicht verziehen.
    »Gehen wir jetzt auf Entenjagd?«
    »Sei nicht so ungeduldig. Es kommt nicht drauf an, was deine Ohren hören. Das Quäken ist nur Beiwerk. Die Halme des Trompetenrohrs haben im Innern feine Häutchen. Wenn Luft hindurchströmt, erzeugt ihr Schwingen einen hohen Ton. Im Gegensatz zu uns nehmen meine Freunde ihn wahr.«
    »Der gute Dalmud hat auch schon von diesen Freunden gesprochen. Wen meinte er damit?«
    »Das wirst du bald sehen.«
    Leo konnte ihr das diebische Vergnügen anhören. In ihrem Mienenspiel zu lesen vermochte er wegen der Dunkelheit nicht.
Er zuckte erschrocken zusammen, als abermals ein Hyänenlachen durch das Dickicht hallte. Hatte es vorhin nicht ferner geklungen?
    Das Warten zog sich in die Länge. Während Benno es sich auf dem Wasser im Schneidersitz bequem machte, fror Leo erbärmlich. Als er vor Kälte mit den Zähnen zu klappern begann, ließ sich Orla endlich zum Weitergehen erweichen.
    Die Bewegung tat ihm gut und das Zittern ließ nach. Das Röhricht endete nach vielleicht zweihundert Metern. Nur einen Steinwurf vor ihnen lag das Meer.
    »Stütz dich auf meine Schulter«, erbot sich Benno.
    Leo bibberte ein Dankeschön und nahm das Angebot an. Nach einigen Schritten drehte er sich um. Der Himmel im Osten war mittlerweile purpurfarben.
    »Da ist Onkel Dalmuds Boot!«, stieß Orla aufgeregt hervor und lief nach links.
    Leo blieb wie angewurzelt stehen und zwang dadurch auch seinen Freund zum Innehalten. »Das ist…?« Ihm verschlug es die Sprache. Er hatte mit etwas Größerem gerechnet, etwas Hochseetüchtigem. Stattdessen sah er, in sicherer Entfernung zu den heranschwappenden Wellen, nur ein Auslegerkanu auf dem Sandstrand liegen. Es bestand aus einem schmalen, etwa sechs Meter langen Bootsrumpf, der über zwei gebogene Querstreben mit einem kleineren Schwimmer verbunden war. Im trüben Morgenlicht meinte Leo eine blaue Farbe an der Oberseite zu erkennen. Unten war es weiß gestrichen.
    »Nee, das war’s «, versetzte Benno, ließ den Proviantbeutel auf den Boden gleiten und sank in sich zusammen. »Sollte es zu eng werden, könnt ihr mich ja als zweiten Auftriebskörper außen an den Rumpf binden. Gebt mir Bescheid, wenn’s so weit ist.«
    Leo schüttelte den Kopf und stapfte auf wackligen Beinen
dem Mädchen hinterher. »Wie weit, sagtest du, müssen wir uns damit aufs Meer hinauswagen?«
    Orla atmete befreit durch. »Ich habe keine Ahnung.« Sie schwang sich ins Kanu, fand ein Tau und knüpfte daraus mit erstaunlicher Schnelligkeit eine Schlinge.
    »Ist das dein Ernst?«, fragte Leo, während er sie beobachtete. »Wie sollen wir dann die Insel des großen Steins finden?«
    »Wir überhaupt nicht. Das überlasse ich meinen Freunden.«
    »Bin ich etwa nicht dein Freund?«
    Sie hielt kurz inne, betrachtete ihn nachdenklich, sah danach zu Benno hinüber und richtete den Blick rasch wieder auf die Leine.
    Leo stöhnte. »Orla, denkst du nicht, du könntest mir langsam sagen, wer diese ›Freunde‹ sind?« Um das fragliche Wort zu betonen, malte er mit den Fingern zwei Anführungszeichen in die Luft.
    Sie warf die Schlinge mit Schwung zum Meer hin, bückte sich abermals, brachte ein zweites Tau zum Vorschein und machte sich auch daran zu schaffen. »Du klingst so gereizt. Lass dich überraschen.«
    »Warum machst du so ein großes Geheimnis daraus?«
    »Weil ich bemerkt habe, dass du nur glaubst, was du siehst. Ehe sich das nicht ändert, will ich dir meine Freunde lieber zeigen, anstatt nur von ihnen zu…«

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