Das Geheimnis der Wellen
fertig.«
»Mein was?«
»Brunch. Fürs Frühstück ist es zu spät, und Sie haben noch nicht gefrühstückt.«
»Ich habe – Kaffee getrunken.«
»Jetzt könnten Sie etwas essen.«
»Ehrlich gesagt, bin ich gerade …« Er zeigte auf sein Notebook.
»Ich weiß, es nervt, gestört und zum Essen gedrängt zu werden. Aber Sie werden bestimmt besser arbeiten können, wenn Sie etwas gegessen haben. Seit wann sitzen Sie am Computer?«
»Keine Ahnung.« Es nervte tatsächlich: die Unterbrechung, die Fragen, das Essen, für das er sich nicht die Zeit nehmen wollte. »Seit etwa sechs Uhr, nehme ich an.«
»Meine Güte, es ist fast elf, also höchste Zeit für eine Pause. Diesmal werde ich im Frühstückszimmer für Sie decken. Von dort aus hat man einen wunderbaren Blick, vor allem heute. Soll ich hier putzen, während Sie essen – ich meine, soll ich hier überhaupt putzen?«
»Nein, ich … Nein.«
»Verstehe. Sie essen jetzt etwas, und ich tue, was ich tun muss. Wenn Sie weiterarbeiten wollen – ich bin im Erdgeschoss und werde Sie nicht stören.«
Sie stand in ihrem verwaschenen lila Sweatshirt mit Frie denszeichen zwischen ihm und seinem Notebook und lächelte ihn freundlich an. Ihre Jeans sahen alt aus, dazu trug sie Crocs.
Da es vergebliche Liebesmüh war, ihr zu widersprechen, verließ er einfach das Zimmer.
Er würde schnell einen Bagel essen oder so was. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Aber das war gut, weil es bedeutete, dass er ganz in seinem Buch aufging.
Sie sollte putzen und sich nicht als Aufpasserin aufführen.
Er hatte nicht vergessen, dass sie kommen würde. Sein ursprünglicher Plan war gewesen, mit dem Schreiben aufzuhören, wenn sie kam. Er wollte sich einen Bagel machen, mit auf einen Spaziergang nehmen und von unterwegs zu Hause anrufen. Doch dieses Vorhaben war von seinem Buch zunichtegemacht worden.
Eli wandte sich nach links und betrat das Morgenzimmer mit dem geschwungenen Erker.
Abra hatte recht, der Blick war es wert. Er würde später spazieren gehen, vorausgesetzt, er schaffte es, sich einen Weg durch den Schnee zu bahnen. Er konnte wenigstens bis zu den Strandstufen gehen, mit seinem Handy ein paar Fotos machen und sie nach Hause schicken.
Er setzte sich an den Tisch mit dem abgedeckten Teller, der kleinen Kanne Kaffee und dem Kristallglas mit Saft. Sie hatte sogar eine der Blumen aus der Wohnzimmervase genommen und in eine kleine Vase gestellt.
Das erinnerte ihn daran, dass seine Mutter immer eine Blume, ein Spielzeug oder ein Buch aufs Tablett gelegt hatte, wenn er als Kind krank gewesen war und sie ihm etwas zu essen ans Bett gebracht hatte.
Aber er war nicht krank und wollte nicht bemuttert werden. Er brauchte nur jemanden, der zum Putzen kam, damit er schreiben, leben und verdammt noch mal Schneeschaufeln konnte, wenn es denn sein musste.
Er setzte sich hin und zuckte zusammen, weil seine Nacken- und Schultermuskulatur so verspannt war. Na gut, das Schneeschaufeln, mit dem er es etwas übertrieben hatte, war nicht ohne Folgen geblieben.
Er nahm die Haube vom Teller.
Dampf stieg von einem Stapel duftender Blaubeerpfannkuchen auf. Knuspriger Speck lag am Tellerrand, und daneben stand ein kleines Glasschälchen mit Melonenstückchen und Minze.
Überwältigt starrte er darauf und wusste nicht recht, ob er verärgert oder dankbar sein sollte.
Am besten beides. Er würde es essen, weil es nun mal vor ihm stand und er einen Bärenhunger hatte. Anschließend konnte er sich immer noch ärgern.
Er bestrich einen der Pfannkuchen mit Butter, die auf einem Unterteller bereitlag, sah zu, wie sie schmolz, und verteilte Ahornsirup darüber.
Es schmeckte altmodisch, aber lecker.
Er wusste sehr wohl, dass er und seine Familie privilegiert waren. Doch so ein köstlicher Brunch mit der Morgenzeitung neben dem Teller war nicht die Regel gewesen.
Die Landons waren privilegiert, weil sie arbeiteten, und sie arbeiteten, weil sie privilegiert waren.
Während er aß, schlug er die Zeitung auf und legte sie dann beiseite. Wie mit dem Fernsehen verband er mit Zeitungen schlechte Erinnerungen. Der Blick aus dem Fenster erfreute ihn. So hing er einfach seinen Gedanken nach, wäh rend er aufs Wasser schaute und zusah, wie der Schnee in der Sonne schmolz.
So etwas wie Frieden breitete sich in ihm aus.
Er sah auf, als sie hereinkam. »Der zweite Stock ist fertig«, verkündete sie und wollte das Tablett abräumen.
»Ich mach das schon. Nein, wirklich«, beharrte er.
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