Das Geheimnis der Wellen
zusammengekommen, nicht auf diese Weise. Vermutlich erinnert er sich nicht mal mehr an jenen 4. Juli mit der Rothaarigen unter dem Pier von Whiskey Bay.«
»Ich glaube, da stellst du dein Licht unter den Scheffel.«
»Vielleicht. Wenn wir uns bei einem seiner Besuche begegnet sind, haben wir immer nett geplaudert – wie man das eben so macht. Einmal habe ich ihn auf dem Markt getroffen, als ich mit Liam hochschwanger war. Eli hat mir die Taschen zum Wagen getragen. Er ist ein guter Mann, davon bin ich fest überzeugt.« Maureen sah auf die Uhr. »Jetzt muss ich nach Hause und die Horde versorgen.«
»Vielleicht solltest du mal bei ihm vorbeischauen.«
»Ich möchte nicht aufdringlich wirken – oder sensationslüstern.«
»Er braucht Freunde. Aber vielleicht hast du recht, und es ist zu früh dafür.«
Maureen trug ihr leeres Weinglas in die Küche. »Ich kenne dich, Abrakadabra! Du lässt ihn nicht mehr lang im eigenen Saft schmoren.« Sie zog ihren Mantel an. »Es liegt einfach in deiner Natur, helfen und heilen zu wollen. Hester wusste ganz genau, was sie tat, als sie dich gebeten hat, nach ihm und dem Haus zu sehen.«
»Dann sollte ich sie nicht enttäuschen.« Sie umarmte Maureen und öffnete die Hintertür. »Danke, dass du mir das erzählt hast. Das war nicht nur eine aufregende Anekdote über verknallte Teenager, sondern hilft mir auch, ihn mit anderen Augen zu sehen.«
»Du könntest auch mal wieder den einen oder anderen Kuss gebrauchen.«
Abra hob abwehrend die Hände. »Ich bin gerade auf Diät.«
»Ja, ja. Ich meine ja nur. Sollte sich die Möglichkeit ergeben – er hat tolle Lippen. Wir sehen uns morgen.«
Abra blieb in der Tür stehen und sah zu, wie sich ihre Freundin einen Weg durch das Schneetreiben bahnte, bis das Licht im Eingang des Hauses nebenan anging.
Sie machte Feuer im Kamin, beschloss, etwas Suppe zu essen und gründlich über Eli Landon nachzudenken.
3
Vielleicht habe ich keine großen Fortschritte gemacht, dachte Eli. Aber ich habe fast den ganzen Tag lang geschrieben und etwas zu Papier gebracht.
Von nun an wollte er gleich nach dem Aufwachen los schreiben und so lange weitermachen, bis er nicht mehr konnte. Gut. Das war vielleicht nicht gerade gesund, aber wenigstens produktiv.
Außerdem hatte das Schneetreiben erst am späten Nachmittag nachgelassen. Sein Schwur, wenigstens einmal am Tag vor die Tür zu gehen, war angesichts von mindestens sechzig Zentimeter Neuschnee Makulatur.
Als er sich irgendwann nicht mehr konzentrieren und keine zusammenhängenden Sätze mehr zu Papier bringen konnte, fuhr er mit der Erkundung des Hauses fort.
Aufgeräumte Gästezimmer, unberührte Bäder – und zu seinem großen Erstaunen ein Crosstrainer, Hanteln und ein riesiger Flachbildfernseher im Obergeschoss des Nordflügels. Stirnrunzelnd betrachtete er die zusammengerollten Yogamatten, die sorgfältig aufeinandergestapelten Handtücher und die DVDs im Regal: seine Großmutter und Power Yoga? Im Ernst? Tai-Chi, Pilates und Bodybuilding?
Hallo? Gran?
Er hatte Mühe, sich das vorzustellen. Doch wenn sein Vorstellungsvermögen nicht einmal dafür ausreichte, konnte er die Idee, vom Schreiben zu leben, gleich vergessen. Doch der Versuch, sich auszumalen, wie seine aquarellierende, zeichnende, gärtnernde Großmutter Gewichte stemmte, war nicht von Erfolg gekrönt.
Andererseits tat Hester Landon nichts ohne Grund. Es ließ sich nicht leugnen, dass das Zimmer sehr überlegt eingerichtet worden war.
Vielleicht hatte sie einen Raum haben wollen, um Sport zu treiben, wenn das Wetter sie an ihren berühmten Sechskilometermärschen hinderte.
Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, dass sie eine Bodybuilding-DVD einlegte.
Träge sah er die restlichen DVDs durch und entdeckte eine Haftnotiz.
Eli, regelmäßiges Training ist gut für Körper, Geist und Seele. Schluss mit dem Grübeln, jetzt wird geschwitzt!
In Liebe
deine Gran via Abra Walsh
Meine Güte! Er wusste nicht recht, ob er amüsiert oder verärgert sein sollte. Was hatte seine Großmutter Abra eigentlich alles erzählt?
Er steckte die Hände in die Hosentaschen, ging zum Fenster und sah hinaus aufs Meer.
Obwohl es sich inzwischen beruhigt hatte, lag es nach wie vor grau da, überspannt von einem blassblauen Himmel. Wellen schlugen an den Strand und nagten stetig an der gewellten Schneedecke. Aus weißen Dünen ragte der Strandhafer wie Nadeln aus einem Nadelkissen. Die Halme zitterten im Wind, beugten sich seinem
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