Das Geheimnis der Wunderkinder
ausgezeichnet vorausgeplant. Er hatte aus seinen beiden früheren Versuchen gelernt.
Zunächst hatte James bis zur Osterwoche gewartet, denn während zehn Tagen würde er nur eines unter zahllosen Kindern auf den Straßen sein. Kein Verdacht würde auf ihn fallen, weil er draußen war, während die anderen in der Schule saßen.
Am letzten Schultag ging James nicht zur Schule. Das war nicht ungewöhnlich; Kinder in den unteren Klassen fehlen oft, und niemand fragt nach ihnen, bis sie mit der entsprechenden Entschuldigung ihrer Eltern wiederkommen. Er wurde nicht vermißt, bis der Schulbus, der ihn für gewöhnlich nach Hause brachte, ihn nicht ablieferte.
Als die Mitchells besorgt in der Schule anriefen, teilte ihnen ein brummiger Pförtner mit, daß der Direktor und die Lehrer alle fort und erst am Montag in einer Woche wieder zu sprechen seien. Es waren eine ganze Reihe weiterer Anrufe nötig, um zwei Klassenkameraden von James Holden ausfindig zu machen, die dann erklärten, daß James an diesem Tag nicht in der Schule gewesen war.
Paul Brennan wußte sofort, was geschehen war, aber er verhielt sich zunächst ruhig. Der Umstand, daß Osterferien waren, erschwerte die Angelegenheit, denn niemandem würde ein Kind auffallen, das allein herumlief, jeder nahm an, daß seine Familie in der Nähe war. James’ erneute Flucht brachte Paul Brennan in eine wenig beneidenswerte Lage. Es handelte sich ja nicht um ein Kinderabenteuer, das meistens drei Häuserblocks von zu Hause endet, nein, dies war eine Wiederholung der ersten monatelangen Abwesenheit. Brennan mußte also behutsam vorgehen. Er lud Zeitungsreporter ins Haus, führte vor, was er dem jungen James alles zu bieten hatte und erlaubte ihnen, das Haushälterehepaar auszufragen. Es gelang ihm, sie von seinen ehrlichen Absichten zu überzeugen und James als ein undankbares, schwieriges, eigensinniges und hochintelligentes Kind hinzustellen.
Dann griffen die Behörden ein, befragten Busfahrer, Bahnangestellte und sogar Passagiere, die mit kleinen Jungen die Stadt verlassen hatten. Plakate wurden gedruckt und verteilt, und alles übrige wurde getan, was in solchen Fällen unternommen wird.
Während also die Behörden ihren Suchkreis auf der Basis der Geschwindigkeit moderner Transportmittel erweiterte, wanderte James Holden gemächlich querfeldein, ausgerüstet mit einem Boy-Scout-Kompaß und einer Landkarte, die ihm half, die großen Landstraßen und Städte zu vermeiden.
Mühsam schleppte er eine leichte Decke mit, in die er vier Büchsen Schweinefleisch und Bohnen eingerollt hatte. Außerdem hatte er ein Pfadfindermesser und eine Drahtzange mit, um die Dosen zu öffnen, und Streichhölzer. Auch das mitgenommene Handbuch für Pfadfinder erwies sich als doppelt nützlich; die Seiten über die Qualifikationen für Verdienstspangen benutzte er zum Feueranmachen. Es machte ihm Spaß, im Freien zu schlafen, denn es war Frühling und angenehm warm, und außerdem besagte das Handbuch für Pfadfinder, daß diese Art des Übernachtens ein Erlebnis sei.
Ein Erwachsener kann am Tag dreißig bis vierzig Meilen zu Fuß zurücklegen, James schaffte indessen nur zehn bis fünfzehn Meilen täglich.
Zu dem Zeitpunkt, als die organisierte Suche im Umkreis von hundert Meilen sich mangels Hinweisen und Hilfskräften totlief, zog James ruhig seines Weges wie ein Pionier, der sich eine Heimstätte sucht.
Der Verdacht, daß Kidnapping vorlag, tauchte bald auf, aber das FBI konnte natürlich nichts unternehmen, bevor die Wartezeit beendet war; man zog Erkundigungen ein und bereitete sich darauf vor, sofort einzuschreiten, sobald das Gesetz es erlaubte. Aber dann kam kein Lösegeldbrief, kein Beweis für Kidnapping. Damit war der Fall nicht abgeschlossen, denn es gibt Leute, die Kinder auch aus anderen Gründen stehlen. Es war allerdings nicht sehr wahrscheinlich, daß ein sechsjähriges Kind von einem Neurotiker geraubt wurde, um ein verlorenes Kind zu ersetzen, und Paul Brennan war überzeugt, daß James Holden genügend Verstand besaß, einen derartigen Kidnapping-Versuch bereits im Ansatz zu vereiteln.
Dies konnte er jedoch kaum verlauten lassen, ebensowenig, daß James absichtlich davongelaufen war und dazu Vorkehrungen getroffen hatte, die einem weitaus älteren zur Ehre gereicht hätten. Er konnte lediglich Hinweise geben und das FBI drängen, etwas zu unternehmen. Es war ihm gleichgültig, wer James zurückbrachte und wie, solange das Kind nur wieder seiner Obhut
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