Das Geheimnis Des Amuletts
Glück mit Josh nicht übel nahm, ganz egal, was auch immer noch geschehen würde. Sebastian hätte nicht gewollt, dass ich mein Leben lang an den dunklen Orten blieb, die ich mit ihm zusammen kennengelernt hatte. Ich verspürte ein tiefgreifendes Gefühl der Hoffnung, als ich mich zu Helen umdrehte. »Wieso sind wir hierhergekommen?«, fragte ich sie.
»Ich muss diesen endlosen Kampf beenden, und das kann ich nur auf eine einzige Weise tun. Und ich muss es jetzt tun.« Sie zog an ihrem Finger, und zum ersten Mal bemerkte ich, dass sie dort einen schlichten Goldring trug. Sie hielt ihn hoch, und ich sah im Kerzenlicht, dass auf der Innenseite Zeichen eingraviert waren, undeutliche Buchstaben, die das Wort jetzt zu bilden schienen.
»Glaubt ihr, dass alles verbunden ist?«, fragte Helen, und ihre hellen Augen leuchteten seltsam dabei. »Ich ja. Ich glaube es.«
Sie ging zum Ende der breiten, gewölbten Krypta und legte ihre Hände locker auf den Steintisch oder Altar. Sie schien nach etwas zu suchen, tastete hier und da über den rauen Stein. »Seht nur!«, sagte sie. Sarah und ich knieten nieder und sahen, dass Helen auf den schwachen Umriss eines Kreises deutete, der in den unteren Teil des Altars gemeißelt worden war, eine Art flache Kerbe. Helen legte den Ring in den Kreis, und der gesamte Steintisch schwang zur Seite und gab eine Wendeltreppe frei, die hinab ins Herz der Erde führte. Sie wurde von seltsamen Blöcken aus Kristall beleuchtet, die an den Wänden angebracht waren. Helen steckte sich den Ring wieder an den Finger und erhob sich.
»Wo hast du diesen Ring her?«, fragte Sarah.
»Lynton hat ihn mir gegeben.«
»Lynton? Der Junge, der für dich Musik gemacht hat? Was hat er mit alldem zu tun?«
»Das kann ich jetzt nicht genau erklären«, antwortete Helen. »Wollt ihr weitergehen oder umkehren?«
Sarah und ich sahen uns an. All die Liebe und das Vertrauen, das ich für Helen empfand, sah ich in Sarahs Augen gespiegelt. »Musst du das wirklich noch fragen?«, wollte ich wissen. »Wir bleiben bis zum Ende bei dir.«
Und so begaben wir drei uns hinunter in die verborgene Erde, hundert Stufen und hundert weitere, und noch mal und noch mal so viele. Meine alten Ängste vor der Dunkelheit waren verschwunden, ich war bei meinen Schwestern und hatte keine Angst, ich wurde nur von dem Wunsch getrieben zu beenden, was wir angefangen hatten. Wir stiegen noch weiter hinunter, bis wir zu zählen vergaßen und von den vielen Windungen und dem endlosen Echo unserer Schritte ganz benommen waren. Als ich dann jedes Zeitgefühl und jede Orientierung verloren hatte und schon glaubte, nicht mehr weiterzukönnen, erreichten wir schließlich den Grund. Wir schritten durch eine niedrige Holztür und betraten eine runde Kammer, die aus dem schwarzen Fels gehauen worden war. Vier große Lampen aus Kristall verströmten ein weiches, reines Licht.
Die Wände der schwarzen Kammer waren poliert und glänzten, aber es war kein Dach zu sehen. Die Mauern ragten so hoch auf, dass wir nicht erkennen konnten, wo sie endeten, so als würden wir am Grund eines unmöglich hohen Brunnens stehen. Ich hatte das Gefühl – oder bildete es mir womöglich nur ein –, dass ich hoch über uns ein Fleckchen Licht und ein Fenster sehen konnte, das zurück in die Welt der Lebenden führte.
Mitten in der Kammer befand sich ein runder Teich, der von einer niedrigen Mauer umgeben war. Das Wasser reichte bis an ihren Rand und war vollkommen reglos und glatt wie eine Glasscheibe. Über dem Teich wölbte sich ein filigran geschmiedeter Bogen, von dem eine Glocke aus Eisen herabhing.
Wir sahen uns erstaunt an und traten näher, angezogen von dem seltsamen und schönen Anblick. Ganz oben auf dem Bogen befand sich ein Symbol: ein Kreis wie die Sonnenscheibe, durchkreuzt von zwei raschen Flügeln – oder waren es zwei scharfe Dolche?
»Das Siegel!«, rief Sarah. Und dann sahen wir, dass die Glocke noch mit anderen Umrissen und Symbolen graviert war: ineinander verflochtene Kreise, die sich von allein zu Buchstaben und Worten formten, die wir irgendwie verstehen konnten.
Ich bewache die Zeit: das, was ist; das, was war; das, was sein wird, und das, was vielleicht gewesen wäre. Jeder Kreis ist ein Teil des Ganzen.
Helen wirkte blass, aber entschlossen, als hätte sie sich entschieden, etwas zu tun, das sie zugleich fürchtete und doch auch ersehnte.
»Wir haben die Gabe unserer elementaren Kräfte erhalten, aber es gibt noch ein anderes
Weitere Kostenlose Bücher