Das Geheimnis Des Amuletts
allein!«
Es war Velvet. Sie hatte sich aus den Reihen der benommenen Mädchen gelöst. Der Hexenzirkel starrte sie verwundert an, und die Priesterin fauchte. »Geh dahin zurück, wo du hingehörst, Sklavin.« Sie hob eine Hand, um eine Salve von ihrem dunklen Feuer auf sie abzuschießen, aber Velvet lachte nur.
»Deine Beschwörungen können mich nicht berühren. Ich habe meine eigenen Kräfte und meine eigene Geschichte. Und das hier ist erst der Anfang!« Velvet öffnete die Hand, und ich sah, dass sie das Messer mit dem Knochengriff hielt, das Sarah vor so vielen Wochen in der Grotte benutzt hatte. Es schien mir mittlerweile schon so lange her zu sein, als wäre es fast in einem anderen Leben gewesen.
Mit einer raschen Bewegung ihres Handgelenks stieß Velvet das Messer in den polierten Fußboden im Innern des Kreidekreises und rief: »Erwachet! Erwachet für Helen!«
»Aufhören – haltet sie auf!«, schrie die Priesterin. Aber es war zu spät. Das Messer steckte in der glatten Oberfläche des Holzes, und der Knochengriff zitterte leicht. Er begann sich zu drehen und zu wachsen, wie ein Baum, der vor meinen Augen ins Leben trat. Dr. Franzen versuchte, ihn mit seinem Stock wegzuschlagen, aber er wurde mit einem Ruck zurückgeschleudert. Der Knochengriff wuchs weiter, und ich sah, dass er die Form von zwei gebogenen Geweihen annahm. Der Boden schwankte und hob und senkte sich, und eine dunkle Masse aus Fell und Hufen barst in den Ballsaal: ein mächtiger Hirsch mit großen schwarzen Augen und zitternden Nüstern, der sich auf die Hinterbeine stellte und dann über die kauernde Priesterin hinwegsprang. In der Ferne erklang ein Horn, und die elegante Reihe aus französischen Fenstern zerbrach in ein Konfetti aus Glassplittern.
»Nein, nein! Zurück!«, schrie die Priesterin, aber ihre Worte waren so nutzlos wie trockenes Gras in einem Buschbrand. Ich stand wie angewurzelt mit offenem Mund da. Es war ein Wunder.
Reiter auf schäumenden schwarzen Hengsten galoppierten durch die zerbrochenen Fenster, schrien ihre wilde Freude heraus und jagten hinter dem Hirsch her. Sie trugen Felle und Leder und grüne Masken, und ihre langen Haare flatterten hinter ihnen her. Die Mauern des Saals schienen zu zittern und zu flimmern, und ich sah eine wilde grüne Waldlichtung, die sich einst an dieser Stelle befunden hatte, wo später die Abtei errichtet worden war.
»Die Wilde Jagd reitet für dich, Helen!«, rief Velvet. Die Priesterin und ihre Anhänger starrten entsetzt auf das Geschehen; sie versuchten, den wirbelnden Pferdehufen und den spitzen Speeren der Jäger auszuweichen, als die furchtlosen Reiter im Kreis herumgaloppierten, dabei in ihre hellen Hörner stießen und wilde, süße Klänge durch die Nacht hallten. Der Hirsch schoss davon, aber jetzt hatten die Jäger eine andere Beute – die Priesterin und ihre dunkle Brut. Und andere Reiter nahmen an der Jagd teil: Cal preschte auf seinem treuen alten Pferd heran, mit grimmiger, stürmischer Miene, während er Sarah in der Menge suchte, und hinter Cal ritt Josh auf einer wundervollen weißen Stute durch die Nacht. Er kam atemlos zu mir gedonnert, riss mich zu sich in den Sattel hoch. »Agnes und Cal haben mich gefunden, aber ich bin nur zu dir zurückgekehrt«, sagte er. »Alles, was ich bin, gehört dir, Evie, wenn du es willst.«
»Ich will dich so sehr«, antwortete ich mit zitternder Stimme. »Ich möchte von vorn anfangen. Kannst du mir verzeihen, dass ich dich so lange warten ließ?«
»Es gibt nichts zu verzeihen.« Dann küsste Josh mich, und ich hatte endlich mein Zuhause gefunden. Er schlang seine Arme fest um mich, und er war warm und freundlich und aufrichtig, und ich war bereit, von vorn anzufangen. Josh war wie die Sonne nach dem Regen, er war der Morgen nach dem Sturm, und die ganze Zukunft wartete auf uns.
Aber in diesem Moment brach erst einmal der Kampf aus. Alles andere würde warten müssen. Der Hexenzirkel hatte sich von seinem anfänglichen Schock erholt und schwärmte jetzt aus, um seine Mistress zu verteidigen. Der Jagdtrupp hatte sich auf die eine Seite begeben, der Hexenzirkel stand auf der anderen. Die Schwestern der Dunkelheit versuchten, die Jäger mit ihren blitzenden Messern und ihren brennenden Fackeln zurückzutreiben. Helen, Sarah und Velvet standen Rücken an Rücken in unserem Kreis. Zu Tode erschreckte Schülerinnen kauerten sich hin, wo sie waren, und schluchzten hysterisch. Cal stürzte sich auf Dr. Franzen, der ein
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