Das Geheimnis Des Amuletts
Küsse austauschen konnte … war es so falsch? War es so falsch, dass ich eine Weile Schutz vor dem letztlich unausweichlichen Sturm suchte?
Sieben
Aus dem Tagebuch von Helen Black
24. September
Ich komme gerade von einem weiteren Besuch auf dem Ridge zurück, und jetzt tobt ein Sturm in meinem Herzen. Ich kann all das kaum fassen, was meine Mutter mir über das Siegel erzählt hat, und jetzt brennt das Zeichen auf meinem Arm wieder. Meine Mutter, Velvet, der Junge – alles dröhnt wie Trommelschläge in meinem Kopf. Ein Licht ist in meinem Geist … brennt … das Licht …
Kann sie wirklich gerettet werden? Und ich auch?
»Lass zu, dass ich erlöst werde«, hatte meine Mutter gesagt, als sie vor mir stand, ganz und gar in weißes Licht gehüllt. Dann hatte sie sich vor Schmerz gekrümmt. »Ich werde gerufen. Ich kann nicht länger bleiben.« Ein Schatten stieg von dem uralten Stein auf, umhüllte sie und zog ihren Geist zurück in sein stummes Herz.
»Warte!«, schluchzte ich. »Geh nicht – verlass mich nicht!«
»Ich habe keine andere Wahl.« Ihr Gesicht und ihre Stimme verblassten. »Deine Kräfte haben mich hierhergebracht, jetzt können mich nur deine Kräfte wieder befreien. Lass mich gehen!«
»Ich kann nicht. Komm zurück, und wir reden weiter. Warte!«
Aber sie war weg. Und weder in meinem Kopf noch in meinem Herzen oder auf dem trostlosen Hügel war ein Nachhall ihrer Anwesenheit zu spüren. Sie war in das Gefängnis zurückgekehrt, das ich für sie errichtet hatte. Meine Tränen brannten in dem rauen Wind, der durch den Steinkreis heulte. Die überwältigende Leere dieses uralten Platzes schien meine eigene Einsamkeit zu verhöhnen und zu verspotten. Einen Moment lang war ich mir so sicher gewesen, dass meine Mutter ihre Reue aufrichtig meinte, aber die Erinnerung an ihre höhnischen Worte im letzten Term sickerten wie bittere Kälte in meinen Geist zurück: Von diesem Moment an bist du ein Niemand für mich, Helen . Wie konnte ich ihr nur trauen nach allem, was sie getan hatte?
Es gab zu viele Fragen und keine Antworten. Ich konnte an diesem Tag nichts mehr tun. Mühsam kam ich auf die Füße und bereitete mich darauf vor, zur Schule zurückzukehren, sog die Luft um mich herum ein und betrat die geheimen Pfade des Windes und des Lichts. Als das Licht verblasste und ich mich den Umkleidekabinen näherte, bekam ich einen Schreck. Velvet Romaine und eine Handvoll ihrer Freundinnen waren dort, lachten und machten Witze und reichten eine Flasche herum. Ich versuchte meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, damit ich nicht direkt vor ihnen aus der Luft krachte. Aber während ich das tat, sah ich, wie Velvet ihren Blick zu meinem hob. Sie schien mich in den geheimen Lücken von Raum und Zeit zu sehen, und brennende Energie pulsierte durch meinen Körper. Eine Sekunde lang war ich in einem Wirbel aus Lärm und Macht verloren. Ich sah wieder den Steinkreis vor mir, wie er sich schwarz vor dem Himmel abhob, und ich sah Velvets dunkle Augen, ihren wachsamen Blick. Ich hörte Musik in der Ferne. Und dann kämpfte ich darum, von ihr wegzukommen.
Ein paar Sekunden später fiel ich aus der Luft und fand mich auf dem matschigen Weg vor dem Schultor wieder. Ich hatte mir einige Prellungen geholt und zitterte, kämpfte mich auf die Beine und machte mich eilig auf den Weg zum Schulgebäude. Und dann bekam ich noch einen Schock. Der Junge, den ich vorher bei Mr. Brooke gesehen hatte, stand beim Tor. Er pfiff leise in sich hinein und lächelte, als er mich sah.
»Hi«, sagte er. »Schön, dich wiederzusehen. Du verfolgst mich doch nicht zufällig, oder?« Seine Worte lösten die Spannung. Es war, als würde sämtliche Besorgnis, die ich wegen meiner Mutter und Velvet empfunden hatte, weggespült werden, wie Seide, die durch meine Hände glitt. Ich stellte sogar fest, dass ich zurücklächelte.
»Nein, natürlich verfolge ich dich nicht.«
»Dann spazierst du also öfter im Zwielicht herum und hältst Ausschau nach großen, gutaussehenden Fremden?«
Ich wusste, dass er mich aufzog, aber irgendwie störte es mich nicht. Ein Junge, der solche Musik hervorbringen konnte wie er, konnte mich nicht einschüchtern. Und da war etwas so Ungezwungenes und Entspanntes an ihm, dass ich lachen musste. »Jede Nacht«, sagte ich.
»Und hast du schon jemanden gefunden?«
»Dich. Ich habe dich gefunden.«
Plötzlich wirkte unsere Unterhaltung gar nicht mehr so unbeschwert. Er sah mich fragend an, und unsere
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