Das Geheimnis Des Amuletts
Nymphen und blumenbehangenen Hirschen fingen an zu zerbröseln und sich zu verwandeln, zeigten jetzt die Vision einer wilden Jagdgruppe, die rücksichtslos durch die Nacht galoppierte. Die Jäger und Frauen trugen Wolfshäute, und ihre langen Haare wehten im Wind, während sie einem weißen Hirsch folgten. Sie stießen in ihre gebogenen Hörner und drängten den Jagdtrupp mit wilden und doch wunderschönen Rufen weiter. Eine große, dunkelhaarige Frau saß rittlings auf einem herrlichen schwarzen Hengst, der sich auf den Hinterbeinen aufbäumte, während sie einen Pfeil an die Bogensehne legte und auf den erschreckten Hirsch zielte. Die Frau brannte vor Verlangen danach zu verletzen und zu töten. Sie wandte sich uns zu, und ich sah, dass sie Velvets Gesicht hatte.
»Nein, nein, nein …« Eine Mädchenstimme hallte durch die Höhle, jung und bittend wie die eines kleinen Kindes. Ich wusste irgendwie, dass sie Velvets kleiner Schwester Jasmin gehörte. Aber sie war tot – sie war tot.
»Hör auf, Velvet. Ich traue dir nicht … hör auf …« Die Stimme wurde eindringlicher. »Nein, Velvet! Du tust mir weh … bitte … du tötest mich … hör auf!« Dann ließ der Sturm plötzlich von selbst nach, und die wilde Jagd schmolz dahin wie ein Traum. Velvet sackte zu Boden.
»Ich wollte dir nicht weh tun«, schluchzte sie. »Jasmin, es tut mir so leid, ich war einfach nur wütend. Ich wollte nichts von all diesen Dingen tun!« Sie machte einen Satz nach vorn und packte das Messer, das immer noch auf dem Boden neben dem Siegel und dem Talisman lag, und fing an, sich wild die Beine und Arme zu zerschneiden, sich in einem Anfall von Selbsthass zu verletzen. Agnes schnippte mit den Fingern, und das Messer flog in ihre Hand. Velvet blickte auf; sie war jetzt beschämt und erstaunt. Tränen verschmierten ihr Mascara und ihre weiße Haut.
»Das reicht«, sagte Agnes leise. »Wir haben genug gesehen.«
»Wer bist du?«, flüsterte Velvet.
»Mein Name ist Agnes. Ich habe hier gelebt, bevor du geboren wurdest. Ich habe diesen Ort verlassen und hatte ein Kind, und dieses Kind war Evies Urgroßmutter. Evie und ich sind durch das Blut und den Mystischen Weg miteinander verbunden. Sie hat mich gerufen, damit ich heute Abend bei dieser schweren Entscheidung helfe.«
»Also – kann ich ein Teil von alldem werden?«, fragte Velvet zitternd. »Ich möchte dazugehören. Ihr müsst mich mitmachen lassen!«
»Velvet Romaine, ich bringe dir eine Botschaft von der unsichtbaren Welt«, erwiderte Agnes ernst. »Eine Warnung. Deine Prüfung hat ergeben, dass dein Erbe eine schwarze Flamme der Wut und der Verzweiflung ist. Deine Kräfte sind ungeformt und chaotisch. Du bist ein Prüfstein, und das bedeutet, du kannst elementare Kräfte kanalisieren, ohne zu wissen, was du tust oder wie du deine Taten kontrollierst. Deine Begierden sind unlenkbar wie die wilde Jagd, trampeln selbst auf denjenigen herum, die du lieben möchtest. Der Tod deiner Schwester Jasmin – die Verletzungen deiner Freundin im Feuer – hast du von solchen Dingen geträumt? Hast du dir eingeredet, dass du sie erzeugt hast?«
»Ja … ja, das habe ich. O Gott, ich hasse mich!«
Agnes sah sie mitleidig an. »Ihre Bestimmungen wurden ohne dich geschrieben, Velvet. Du bist weder so wichtig noch so vermögend, dass du ihr Leben nach deinen wütenden Tagträumen hättest gestalten können. Andere Mächte waren mit am Werk. Vergib dir selbst, und versuche, dich zu verändern.«
Velvet brach in Tränen aus. »Wirklich? Es war nicht nur ich? Oh, mein Gott … die ganze Zeit dachte ich …« Sie beherrschte sich wieder und sah auf. »Agnes, ich möchte mich verändern. Ich möchte wie Helen sein. Ich möchte Teil eures Mystischen Weges sein, um ihn zu verstehen.«
»Der Mystische Weg ist ein Pfad der Heilung«, erwiderte Agnes. »Du bedarfst selbst viel zu sehr der Heilung, als dass du unserer Schwesternschaft beitreten könntest. Du bist nicht bereit dazu.«
»Aber ich möchte helfen!«
»Die elementaren Geister lassen sich nicht auf Befehl kontrollieren«, sagte Agnes. »Nicht, solange du nicht dein eigenes Herz beherrschen kannst. In der Zwischenzeit akzeptiere die Gaben, die du bereits besitzt. Mut. Stärke. Leben. Öffne dein Herz. Lerne zu lieben. Hör auf, dich selbst zu verletzen, und du wirst vielleicht aufhören, andere zu verletzen. Laufe mit dem Jagdtrupp, aber sorge dafür, dass deine Beute deine Rache verdient hat. Hast du das verstanden?«
»Ich … ich
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