Das Geheimnis Des Amuletts
größer ist als der Tod, so wie das Licht größer und mächtiger ist als die Dunkelheit. Und es spielt keine Rolle, wie lang das Leben währt, wenn man dafür sorgt, dass man jede Sekunde bewusst erlebt. Wir alle müssen uns immer wieder daran erinnern.«
Ein langes Schweigen entstand, dann flüsterte Velvet: »Ich werde es versuchen. Danke, Sarah. Du bist nett. Es tut mir leid, wenn ich …«
»Mach dir deshalb keine Sorgen.«
Ich machte Anstalten zu gehen, aber Velvet setzte sich auf und klammerte sich an mich, so fest, dass mein Arm schmerzte. »Aber ich kann immer noch mit euch zusammen sein, Sarah, oder?«
»Natürlich, sicher.«
»Ich meine nicht in der Schule – ich meine, wenn ihr eure mystischen Kräfte wirkt, oder wie immer ihr das nennt. Ich möchte immer noch dabei sein. Ich könnte dich beobachten und lernen zu kontrollieren, was ich tue, oder nicht? Ich will nicht, dass schlimme Dinge passieren.«
Ich hätte Velvet daran erinnern können, dass sie erst im letzten Term in »schlimme Dinge« verwickelt gewesen war. Sie war dabei gewesen, als Helen auf rätselhafte Weise aus einem Fenster der Schule gefallen war. Es war ein Wunder, dass Helen den Unfall überlebt hatte, und Velvet war nicht gerade eine gute Freundin von uns gewesen. Aber ich hielt mich zurück. Ich konnte sehen, dass Velvet wirklich litt. Sie hatte nicht damit gerechnet, abgewiesen zu werden.
»Aber Agnes hat gesagt, dass du noch nicht bereit bist«, fing ich an.
»Ich könnte mich bereit machen! Siehst du nicht, wie erstaunlich das alles ist? Wir sind keine gewöhnlichen Mädchen. Wir haben unsere Kräfte. Wir sind – übermenschlich. Agnes hat gesagt, dass es nicht wirklich mein Fehler war, das damals mit dem Feuer und dem Autounfall, aber ich weiß, dass ich eigenartige Dinge machen kann. Wenn ich etwas in meinem Geist sehe, beginnt es zu geschehen. Stell dir nur vor – wenn ich lernen könnte, es zu kontrollieren, könnte ich echte Macht haben! Ich könnte erstaunliche Dinge tun, und im Kreis würden meine Fähigkeiten noch stärker, nicht wahr? Ich brauche euch, und ihr braucht mich. Ihr müsst zulassen, dass ich ein Teil von alledem bin!«
Ich war alarmiert. Velvets Wangen waren gerötet, und ihre Augen glänzten fiebrig.
»Velvet, du stehst ein bisschen unter Schock, und ich weiß, dass du eine ganze Menge verarbeiten musst, aber du musst das ernst nehmen, was Agnes gesagt hat. Wenn der Mystische Weg nicht für dich gedacht ist, ist es am besten, du vergisst ihn.«
»Aber das ist nur ihre Meinung! Sie hat nicht das Sagen – sie ist nur eine von euch vieren. Wenn ihr Übrigen einverstanden seid, könnte ich zusehen und lernen und … und ein besserer Mensch werden. Ich habe gesehen, wie ihr im letzten Term in den Moors gegen diese Frauen gekämpft habt. Sie sind eure Feinde, oder? Ich könnte euch dabei helfen, ich weiß es. Ich muss es tun. Ich brauche etwas Wirkliches und Machtvolles in meinem Leben. Ich kann mich nicht weiter so treiben lassen und von einem dummen Einfall zum nächsten springen, nur weil mein Vater berühmt ist. Ich muss wissen, wer ich wirklich bin. Das ist meine Bestimmung – erkennst du das nicht? Bitte, Sarah, sag, dass du auf meiner Seite sein wirst.«
Ich fühlte mich zerrissen. Ich hatte Velvets Hang zur Selbstsucht selbst erlebt, ihren Hunger nach Gefahr und ihre Geringschätzung für andere Menschen. Aber sie schien es ernst zu meinen, und sie wirkte verzweifelt. Vielleicht hatte Agnes sich ja geirrt.
»Ich glaube, es gibt für alles den richtigen Zeitpunkt«, sagte ich langsam. »Und vielleicht ist dies einfach nicht deine Zeit. Hab Geduld.«
Sie ließ sich in die Kissen zurückfallen und verzog ironisch das Gesicht. »Geduld ist nicht gerade mein Ding, falls du das noch nicht bemerkt hast.« Tränen schimmerten in ihren dunklen Augen, aber Velvet blinzelte sie weg, und ich spürte kurz Mitgefühl wie eine heiße Flamme in mir aufflackern.
»Vielleicht könnte ich mit den anderen sprechen und sehen, was Helen denkt.«
»Ja! Bitte, Sarah, bitte. Ich flehe dich an.«
In diesem Moment kam Ruby mit einem Glas Wasser und zwei Aspirin zurück.
Ich stand auf, um zu gehen. Aus irgendeinem Grund griff ich in meiner Tasche nach dem kleinen Messer mit dem Knochengriff und schob es unter Velvets Kissen. »Du könntest das brauchen. Aber verletz dich nicht selbst damit«, flüsterte ich. »Bewahre deine Wut für den Feind auf.«
»Danke, Sarah – danke – und vergiss nicht, was ich gesagt
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